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Immer mehr Ernährungsräte setzen sich für eine lokale, soziale und ökologische Ernährungsversorgung ein. Dafür bringen sie Produzenten, Konsumenten, Verwaltung und Politik zusammen.

Teilnehmer des ersten Kongresses der Ernährungsräte
Kathi Girnuweit/Taste of Heimat
  • Seit dem Jahr 2016 haben sich im deutschsprachigen Raum über 40 Ernährungsräte gegründet.
  • Das Ziel der Ernährungsräte ist es, die nachhaltige und lokale Lebensmittelversorgung in den Städten zu verbessern.  
  • Dazu knüpfen sie ein partnerschaftliches Netzwerk zwischen Politik, Verwaltung, Landwirten, Händlern, Verbrauchern und Gastronomen.
  • Im Artikel erfahren Sie, wie Ernährungsräte arbeiten und was sie bewirken können.

Die Ernährungswende beginnt vor unserer Haustür: Davon sind die Menschen überzeugt, die Ernährungsräte gründen oder es schon getan haben. Solche Initiativen gibt es mittlerweile in über 40 Städten und Kreisen im deutschsprachigen Raum. Sie wollen vor Ort mitentscheiden, wie und unter welchen Bedingungen unser Essen auf dem Teller landet. Das ist gelebte Ernährungsdemokratie.

Ernährungssouveränität vor Ort schaffen

Ernährungsräte sorgen dafür, dass es in Städten wieder mehr lokale und nachhaltig erzeugte Lebensmittel gibt. Dafür arbeiten Experten aus der Land- und Ernährungswirtschaft, der Bürgerschaft und der Verwaltung zusammen. Ihr Ziel: Ein Masterplan für die regionale Ernährungspolitik. Die Idee dazu ist schon einige Jahrzehnte alt: Der erste Ernährungsrat der Welt entstand 1982 in Knoxville/USA als Antwort auf die Ernährungsprobleme der Stadt. In Nordamerika gibt es solche "Food Policy Councils" mittlerweile in über 260 Städten. Das Konzept verbreitete sich in den letzten zehn Jahren auch in England, Frankreich und den Niederlanden. Nun ist es auch in Deutschland angekommen. Bisher wird bei uns Ernährungspolitik vor allem auf Bundes-, Landes- oder EU-Ebene gemacht – die Ernährungsräte wollen diese wichtige Aufgabe zurück in die Regionen holen, auf die kommunale Ebene.

Ernährungsräte können viel bewirken

Ernährungsräte stellen den Dialog zwischen Politik, Verwaltung, Landwirten, Händlern, Verbrauchern und Gastronomen her. Ihr Ziel ist es, die nachhaltige und lokale Lebensmittelversorgung in den Städten zu verbessern. Gleichzeitig geht es um die Stärkung von kleinbäuerlichen Betrieben und den Aufbau von regionalen und fairen Handelsstrukturen. Aber auch einkommensschwache Haushalte sollen Zugang zu nachhaltigen Lebensmitteln bekommen. Kurz: Ernährungsräte knüpfen ein partnerschaftliches Netzwerk für mehr regionale und nachhaltige Ernährung und holen die Versorgung zurück auf die lokale Ebene.

Ernährungsräte haben in erster Linie eine beratende Funktion inne. Dort engagieren sich Ernährungsexperten aus Forschung, Wirtschaft und öffentlicher Verwaltung, aber auch Landwirte, Händler, Vertriebler, Gastronomen und andere Ernährungshandwerker genauso wie zivilgesellschaftliche Vereine, Gesundheitsinitiativen und Bildungseinrichtungen. Diese Vielfalt gewährleistet Transparenz und möglichst breite Akzeptanz. Zu den Aufgaben der Räte gehören die Sammlung und Evaluation von Informationen rund um das lokale Ernährungssystem, die Beratung der kommunalen Politik und Verwaltung in Fragen der Ernährungspolitik sowie die Vernetzung von (möglichst) allen Akteuren, die im lokalen und regionalen Ernährungssystem eine Rolle spielen.

Ziele und Projekte von Ernährungsräten

Ein Ernährungsrat erarbeitet Vorschläge für ganzheitliche Strategien und initiiert und unterstützt auf lokale Bedürfnisse zugeschnittene Programme und Projekte. Das können u.a. sein:

  • gesunde und regionale Essensversorgung in Großküchen anstoßen,
  • Gartenbauprojekte initiieren und Urban Gardening voranbringen,
  • alternative Formen der Landwirtschaft fördern,
  • einen Regionalmarkt für Erzeuger aus der Umgebung etablieren,
  • Informations- und Austauschplattform für Menschen sein, die sich für nachhaltige Ernährung einsetzen wollen.

    Wie arbeiten Ernährungsräte?

    In den meisten Ernährungsräten arbeitet die Verwaltung mit Organisationen aus der Zivilgesellschaft zusammen. Die konkrete Verfasstheit und Rechtsform kann aber unterschiedlich sein: In einigen Kommunen ist es ein Gremium der Stadtverwaltung mit geregelten Aufgaben und Kompetenzen, die ihm vom Stadtparlament verliehen wurden. In anderen ist der Rat als Verein unabhängig und wirkt beratend.

    Den ersten deutschen Ernährungsrat in Köln trägt beispielsweise ein eingetragener Verein. Das 30-köpfige Gremium setzt sich zu je einem Drittel aus ehrenamtlich engagierten Mitgliedern der Zivilgesellschaft, Vertretern der Wirtschaft, darunter Erzeuger aus dem Umland, und Mitarbeitern der Stadtverwaltung zusammen.

    Rund um den Rat haben sich vier Ausschüsse gebildet: Einer für regionale Direktvermarktung, einer für Ernährungsbildung und Gemeinschaftsverpflegung, ein weiterer Ausschuss für Urbane Landwirtschaft/Essbare Stadt und schließlich zu Gastronomie und Lebensmittelhandwerk. Hier läuft die inhaltliche Arbeit, bei der sich über 100 Menschen ehrenamtlich engagieren. Sie erarbeiten Projektziele und erstellen Empfehlungen, die der Rat dann an die Stadtverwaltung weitergibt, beispielsweise auf welchen Wegen die Schulverpflegung regionaler gestaltet werden kann. Die Stadt Köln stellt Räumlichkeiten zur Verfügung und gibt organisatorische Unterstützung.

    Wo gibt es bereits Ernährungsräte?

    Die ersten Ernährungsräte gründeten sich im Frühjahr 2016 zuerst in Köln und dann in Berlin. In der zweiten Jahreshälfte 2017 folgten dann Frankfurt, Dresden, Oldenburg und das Saarland. Beim ersten bundesweiten Netzwerktreffen im November 2017 in Essen kamen 44 interessierte Initiativen aus Deutschland, der Schweiz, Österreich und der Region Südtirol zusammen. Im Februar 2018 gründeten sich Ernährungsräte im Landkreis Fürstenfeldbruck und Kiel. In der Gründung stehen Hamburg, Zürich und Wien. In Wiesbaden, Bonn, Leipzig, Gießen, Kassel, Bielefeld und Innsbruck gibt es konkrete Schritte dazu.

    Kurzinterview mit dem Dokumentarfilmer Valentin Thurn, dem Initiator des ersten deutschen Ernährungsrates in Köln:

    Was hat Sie persönlich bewegt einen Ernährungsrat in Köln zu gründen?

    „Nach dem Film „10 Milliarden“ und unserem Buch „Harte Kost“ zur Zukunft der Welternährung war es ein folgerichtiger Schritt, jetzt mit der Ernährungssouveränität vor Ort zu beginnen.“

    Wo sehen Sie die Probleme?

    „Die Kölner konsumieren viele importierte Lebensmittel und entfremden sich zunehmend von ihrem Umland. Regionale Erzeuger müssen hingegen aufgeben, weil sie dem Preisdruck nicht mehr standhalten können. Diesem Teufelskreis gilt es Einhalt zu gebieten. Wenn mehr Bürger regionale Lebensmittel nachfragen, erhält dies kleinbäuerliche Familienbetriebe, unterstützt das lokal verarbeitende Handwerk und belässt so die Wertschöpfung in der Region.“

    Welche Erfolge gibt es nach zwei Jahren Aufbauarbeit?

    „Die Träger der Kölner Kitas haben sich mit uns in einem Arbeitskreis zusammengeschlossen und schaffen Modellküchen, die sich regional versorgen. Essen aus der Region ist für alle Kölner Kinder- und Jugendheime bereits beschlossene Sache. Wir gehen davon aus, dass sie sich bereits in diesem Jahr zur Hälfte damit versorgen können. Würden sich jetzt alle 300 Kitas anschließen, hätten wir allerdings ein Mengenproblem: So viele Bauern haben wir noch gar nicht beisammen.“

    Drei Tipps zur Gründung eines lokalen Ernährungsrats

    1. Auf die Vielfalt achten

    Ernährungsräte sind gerade deshalb so bereichernd, weil die Mitwirkenden so vielfältig sind. Anders als auf Landes-, Bundes- und EU-Ebene, gibt auf lokaler Ebene viele Schnittmengen und Möglichkeiten zur Zusammenarbeit, auch über politische und Verbandsgräben hinweg. Viele Einzelpersonen, Initiativen oder Einrichtungen haben bereits Erfahrung und setzen sich vor Ort für ein zukunftsfähiges Ernährungssystem ein.

    2. Bestandsaufnahme machen und Aufgaben definieren

    Jede Stadt ist einzigartig in ihren Herausforderungen und Möglichkeiten. Zunächst gilt es, Probleme und Missstände zu identifizieren sowie Potenziale zu eruieren, um die Essensversorgung zu verbessern. Je mehr ernährungsrelevantes Wissen zusammengetragen wird, desto mehr erkennt man den Bedarf an Veränderung und konkrete Aufgabenfelder. Hilfreich ist dabei der Blick über den Tellerrand: Gesundheit hat viel mit gesunder Ernährung zu tun, globale Bildung und globales Wirtschaften muss sich mit der Zukunft des Essens befassen und Entwicklungspolitik beschäftigt sich auch mit den weltweiten Auswirkungen unseres Konsumverhaltens.

    3. Neue Organisationsformen ausprobieren

    Die Gründung eines Ernährungsrates ist ein sozialer Prozess und stückweise auch ein Experiment. Aus kreativem 'Chaos' gilt es gemeinsame demokratische Strukturen und Entscheidungsprozesse zu schmieden. Eine bewährte Ratsstruktur hat eine hauptamtliche Koordination, Arbeitsgruppen; Ausschüsse und Projekte, mit klar umrissenen Verantwortlichkeiten. Nicht zu vergessen ist die Finanzfrage: Ohne ausreichende strukturelle Förderung durch die Stadtverwaltung und Projektgelder wird sich die ansonsten ehrenamtliche Arbeit eines lokalen Ernährungsrates auf Dauer nicht bewerkstelligen lassen.

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    Den Leitfaden zum Herunterladen gibt es unter institut-fuer-welternaehrung.org/beratungsmodul-fuer-ernaehrungsraete-ernaehrungswende-jetzt.

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