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Ist das Ernährungssystem in der Region Köln/Bonn ausreichend auf zukünftige Krisen vorbereitet? Dieser Frage widmete sich jüngst eine Agrarwissenschaftlerin an der Uni Bonn.

Charlotte Binder
  • Eine junge Wissenschaftlerin an der Uni Bonn wollte wissen, wie krisenfest das Ernährungssystem im Raum Köln/Bonn ist. Dazu befragte sie viele Expert*innen.
  • Alle waren sich einig: Die Region ist zu sehr vom internationalen Lebensmittelhandel abhängig. Das ist riskant.
  • Branchenkenner*innen und Expert*innen empfehlen, stärker auf regionale ökologische Produkte zu setzen und die Kommunikation darüber zu verbessern.
  • Die Studie ist eine der ersten in Deutschland, die sich mit der Ernährungsresilienz einer ausgewählten Region befasst.

„Niemand muss in Deutschland Hunger leiden.“ Diese Aussage über die Ernährungslage in Deutschland mag heute stimmen. Doch was passiert eigentlich, wenn einmal länger der Strom ausfällt, der Gütertransport nur begrenzt funktioniert oder internationale Grenzen dicht gemacht werden? Und wie gut sind Regionen auf solche Ergebnisse vorbereitet?

Charlotte Binder hat untersucht, wie es mit der Ernährungsicherheit in der Region Köln/Bonn aussieht. In ihrer Studie „Resilienz im Ernährungssystem Köln/Bonn“ befasste sich die Autorin mit drei Fragen: Wie resilient (widerstandsfähig) ist das Ernährungssystem Köln/Bonn? Was hindert uns daran, resilienter zu sein? Und wo liegen die Chancen und die Hebel für Veränderung?

Dazu befragte sie 20 Expert*innen aus dem Bereich Landwirtschaft und Ernährung. Die überraschende Erkenntnis war: Die Fachleute sind sich einig, gleich ob Vertreter*innen der Landwirtschaft, der Bioverbände oder des Handels: Das Ernährungssystem in Köln/Bonn ist derzeit nicht gut auf Krisen vorbereitet.

Was ist eigentlich Resilienz?

Der Begriff Resilienz hat seine Wurzeln in der Ökologie und wurde im Jahr 1973 erstmals von Crawford S. Holling geprägt. Er beschreibt die Fähigkeit eines Systems, externe Schocks zu absorbieren und sich während eines Anpassungsprozesses so organisieren, dass es im Wesentlichen die gleiche Funktion und Struktur beibehält. Für ein Ernährungssystem bedeutet das: Es muss in der Lage sein, Störungen wie beispielsweise Naturkatastrophen, Pandemien oder Wirtschaftskrisen zu widerstehen. Resilienz heißt aber auch: Das System kann sich von diesen Ereignissen erholen und ausreichend gutes Essen für alle bereitstellen.

Es ist wichtig, Resilienz und Nachhaltigkeit klar voneinander abzugrenzen.

  • Nachhaltigkeit beschreibt eine Entwicklung, die die Bedürfnisse der Gegenwart befriedigt, ohne die Möglichkeiten künftiger Generationen einzuschränken.
  • Das Konzept Resilienz hingegen beschreibt die Fähigkeit eines Systems, Störungen zu absorbieren und dadurch seine Struktur und Funktion zu erhalten.

In der wissenschaftlichen Literatur werden die beiden Begriffe häufig miteinander in Verbindung gebracht. Resilienz wird als Voraussetzung für Nachhaltigkeit angesehen.

Unser Ernährungssystem – global und hochkomplex

In Köln/Bonn leben heute 3,5 Millionen Menschen. Tag für Tag werden zahlreiche Restaurants und Kantinen beliefert und Supermarktregale befüllt. Die nächste Lebensmittellieferung ist für Menschen in der Stadt nur einen Mausklick entfernt. Tausende Produkte sind jederzeit verfügbar. Hinter dem bunten Warenangebot steckt ein komplexes System. Mit einem hohen logistischen, technischen und kommunikativen Einsatz sorgen Produzent*innen, Industrie, Handwerk und Handel, dass die Produkte aus aller Welt zur rechten Zeit am rechten Ort sind. Doch nur zu einem ganz kleinen Teil landen Lebensmittel aus unserem Umland auch auf unseren Tellern. Denn die Landwirte vor Ort produzieren mittlerweile überwiegend für den Groß- oder auch den Weltmarkt. Und in den Regalen der Supermärkte liegen Lebensmittel aus aller Welt. Dieses System hat sich über Jahrzehnte entwickelt und erscheint uns heute als Selbstverständlichkeit. Doch je länger die Lieferketten und je komplexer ein System ist, desto anfälliger wird es für Störungen aller Art. Wie sieht es nun in Köln/Bonn aus? Für ihre Studie sprach die Verfasserin mit Akteur*innen entlang der gesamten Wertschöpfungskette: Mit Landwirt*innen, Vertreter*innen großer Supermarktketten, Mitarbeitenden aus der städtischen Verwaltung und verschiedenen Ministerien, Lebensmittel-Unternehmer*innen, Ernährungsrät*innen sowie Expert*innen für kritische Infrastrukturen.

Die Stärken der Region besser nutzen

Obwohl die Gesprächspartner*innen ganz unterschiedliche Perspektiven mitbrachten, kamen sie zu einem ähnlichen Schluss: Wir sollten die regionalen Ressourcen besser nutzen. Das heißt nicht, dass die Ernährung zu 100 Prozent regional gedeckt werden sollte. Aber die regionale Selbstversorgung könnte deutlich besser sein. Auf den Flächen rund um die Stadt sollte wieder das wachsen, was nach möglichst kurzer Zeit auf den Tellern landet. Sie sprachen von einem Ernährungssystem, in dem ein reger Austausch herrscht und in dem es ein gesteigertes Bewusstsein und Interesse für regionale Lebensmittel gibt. Das wäre auch ein Ernährungssystem, das man in seiner Freizeit entdecken und erleben kann, das sich durch Diversität auszeichnet, kleine Betriebe erhält und Innovationen fördert. Ein solches System schützt nicht nur die natürlichen Ressourcen, sondern auch die Kulturlandschaft und wertet das Leben in der Region durch eine lokale Wertschöpfung auf.

Die Engpässe: Klimawandel, Biologische Vielfalt, Wasser und Boden

Die Studie identifiziert im Wesentlichen vier Risiken für das Ernährungssystem in der Region: Das sind der Klimawandel, der Verlust von Biodiversität sowie die Knappheit von natürlichen Ressourcen, insbesondere Wasser und Boden. Hinzu kommt ein Risiko, das sehr spezifisch ist für Köln/Bonn: Die schiere Bevölkerungszahl erfordert, dass große Flächen für Wohnraum, Infrastruktur und Gewerbe zur Verfügung stehen – auf Kosten von landwirtschaftlichen Flächen. Der Wettbewerbsdruck hat die Pachtpreise in den letzten Jahren enorm in die Höhe steigen lassen. Das macht es für Landwirt*innen schwer, ihren Betrieb aufrecht zu erhalten. Die Folge ist, dass immer mehr Betriebe aufgeben. Gleichzeitig haben junge, innovative Ernährungs-Initiativen große Schwierigkeiten Höfe und Flächen zu finden. Heute stehen ca. 307.368 Hektar landwirtschaftliche Flächen in der Region einer Nachfrage für Lebensmittel gegenüber, die auf 1.206.603 Hektar wachsen.

Hinzu kommt der Druck des globalen Wettbewerbs. Dem können viele kleinere Betriebe nicht mehr standhalten, ob es das Lebensmittelhandwerk ist, die Molkereien, Mühlen und Metzgereien oder die Landwirte. Auf dem Weltmarkt haben die Produkte einen Wettbewerbsvorteil, die günstiger hergestellt werden, zum Beispiel durch niedrigere ökologische und soziale Standards oder durch Zentralisierung. Das bedeutet: Es entstehen immer weniger und dafür größere Betriebe, die unsere Lebensmittel herstellen, verarbeiten, verteilen und vermarkten. Dadurch gehen Diversität und Know-how verloren. Der Corona-Ausbruch bei Deutschlands größtem Schlachtbetrieb im letzten Jahr hat gezeigt, dass ein so stark konzentriertes System nicht belastbar ist.

Wege aus der Resilienz-Krise

Welche Eigenschaften müsste das System haben, um widerstandsfähig zu sein? Auch hier gibt es einen Konsens unter den Teilnehmenden der Studie: Wir sollten unser Ernährungssystem vom Acker bis zum Teller deutlich stärker regional ausrichten.

"Wir haben Platz. Wir haben Boden. Wir haben Wasser. Wir haben Energie. Wir haben Menschen. Wir haben eigentlich alles, was es braucht, um in dieser Region unheimlich viele Lebensmittel zu produzieren. Wir müssen diese Ressourcen aber besser lenken und nutzen". (Teilnehmender der Studie)

Um unser Ernährungssystem resilienter zu machen, braucht es vor allem

  • eine bessere Kommunikation zwischen einzelnen Akteuren im System sowie
  • eine effiziente und nachhaltige Nutzung der Ressourcen, z. B. Wasser und Energie.

Eine große Rolle spielt auch die Anpassung an regionale Kreisläufe und die Saisonalität. Mehr Regionalität und Vielfalt würden das System widerstandsfähiger machen, so die Ergebnisse der Studie.

Was wäre der Vorteil einer stärkeren Regionalisierung?

Erzeuger*innen und Verbraucher*innen könnten sich wieder mehr annähern. Mehr persönliche Kontakte innerhalb einer regionalen Wertschöpfungskette führen zu einem besseren gegenseitigem Verständnis. Das erhöht die Wertschätzung für Lebensmittel und damit die Zahlungsbereitschaft. Schließlich geht es auch um den Austausch von Wissen und Ideen, die Innovationen und Vielfalt entstehen lassen. So können entstehen lokale Kreislaufsysteme entstehen und Transportwege verkürzt werden. Regionale landwirtschaftlich Betriebe und Verarbeiter werden gestärkt. Das wiederum verringert die Abhängigkeit vom internationalen Handel.

Wie eine stärkere Regionalisierung gelingen könnte

Wer regional einkaufen möchte, braucht auch ein regionales Angebot. Und umgekehrt: landwirtschaftliche Betriebe und das Lebensmittelhandwerk brauchen Abnehmer*innen für ihre regional erzeugten Lebensmittel. Um die Nahversorgung zu stärken und Stadt und Land wieder zusammenzubringen, müssen alle Akteur*innen zusammenwirken. Auch dafür finden sich in der Resilienzstudie konkrete Hinweis :

  • Ein wichtiger Hebel ist eine bessere Vernetzung zwischen den Akteur*innen, so die Expertinnen und Experten. Lokale Politik, Produzent*innen, Handel, Konsument*innen sowie verarbeitendes Gewerbe sollten in engem Austausch stehen. Derzeit fehlt es an Plattformen und Organisationsstrukturen, die den Beteiligten ermöglichen, gemeinsame Strategien zu entwickeln.
     
  • Konkret plädierten die Interviewpartner*innen dafür, neue Regional-Zentren und Märkte für regionale Lebensmittel einzurichten. Denn es braucht Orte, an denen die Ware aus der Region gebündelt wird und bei Bedarf auch weiterverarbeitet. Solche Orte können auch zu Begegnungs- und Lernorten werden, an denen Wissen über die Herstellung und Zubereitung von Nahrungsmitteln vermittelt wird.
     
  • Ein weiterer wichtiger Hebel ist die Ernährungsbildung. Das reicht von praktischen Fertigkeiten zum Beispiel in Gartenbau, Kochen und Ernährung in der Schule, über die Organisation von Exkursionen zu landwirtschaftlichen oder lebensmittelverarbeitenden Betrieben bis hin zur Verbesserung der urbanen Lebensmittelproduktion etwa in Privat-, Gemeinschafts- oder Selbsterntegärten.

Auch die Politik muss einen Beitrag leisten, um die Nahversorgung zu verbessern. Kommunen könnten mehr regionale und saisonale Erzeugnisse in ihren Kantinen einsetzen. Vielfältige und innovativen Unternehmen und Initiativen sollten unterstützt und gefördert werden, für „ein System, das wieder Verbindung schafft, vom Landwirt bis zum Teller.“

Fragen und Antworten zur Resilienz-Studie

Gibt es bereits ähnliche Studien in Deutschland?

Nein. In Deutschland gibt es vereinzelte Studien, die sich mit den Vorteilen regionaler Ernährungssysteme beschäftigen, zum Beispiel in Freiburg (PDF-Download). Ähnliche Studien zur der Resilienz in Regionen gibt es fürStockholm und in Finnland.

Siehe auch unten, Links zu "Studien zum Thema".

Wie sind andere Städte und Regionen hinsichtlich der Resilienz des Ernährungssystems aufgestellt?

Für andere Regionen in Deutschland ist die Datenlage schwach. Es kann aber aufgrund ähnlicher Voraussetzungen davon ausgegangen werden, dass auch dort nur eine geringe Widerstandsfähigkeit in regionalen Ernährungssystemen herrscht. Es gibt, Stand heute, keine einheitliche politische Strategie von Seiten des Bundes oder der Länder. Der Selbstversorgungsgrad, also der prozentuale Anteil der Inlandproduktion am inländischen Gesamtverbrauch, liegt in Deutschland für Gemüse bei 35,7 Prozent und bei Obst bei 22,4 Prozent. Nur bei den tierischen Erzeugnissen Milch und Fleisch kann derzeit der eigene Verbrauch gedeckt werden, sieht einmal davon ab, dass dafür ein gewisser Anteil an Futtermitteln importiert werden.

Zahlen zum Selbstversorgungsgrad: BMEL-Statistik Versorgungsbilanzen

Wie können Bürger*innen zu einer gesteigerten Resilienz beitragen?

Als Konsument*in hat jede*r einzelne die Möglichkeit, durch die eigenen Kaufentscheidungen Einfluss zu nehmen. Dazu gehört die Unterstützung von Initiativen, Projekten und Erzeuger*innen in der Region: Gemüse, Fleisch, Eier oder Milch bei regionalen Höfen direkt zu beziehen, ist ein wertvoller Beitrag. Genauso kann eine Mitgliedschaft bei einer Marktschwärmerei oder einer Solidarischen Landwirtschaft oder ein Engagement in einer Bürgerinitative eine Option sein. Darüber hinaus helfen Wissen und Fähigkeiten in der Küche nicht nur dabei, sich selbst gesund zu ernähren, sondern auch, Lebensmittelabfälle zu vermeiden. All das trägt zur Widerstandsfähigkeit im Krisenfall bei.

Die drei Artikelfotos stammen aus der Region Köln/Bonn, vom Hof "Humuswerkstatt" im Bergischen Land. Die Gründer produzieren Gemüse nach dem No-Dig-Prinzip, das heißt „Gärtnern ohne Umgraben“.

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Martin Egbert

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Ein Berliner Start-up will einen Schwarm kleiner Gemüsehöfe gründen und vernetzen, um nachhaltig erzeugte, regionale Lebensmittel auch für Großabnehmer produzieren zu können. Das Konzept für die Farmer von morgen kommt genau zur richtigen Zeit. Denn die Nachfrage nach regional produzierten Biolebensmitteln übersteigt sogar das Angebot bei weitem. Indem Nicht-Landwirte die kleinen Flächen bewirtschaften, soll außerdem der Nachwuchsmangel in der Landwirtschaft ausgeglichen werden.

Ein Artikel aus der BZfE-Fachzeitschrift Ernährung im Fokus stellt das Unternehmen ausführlich vor: www.bzfe.de/ernaehrung-im-fokus/fokus-nachhaltigkeit/lasst-tausend-farmen-bluehen

Landesverband Regionalbewegung NRW e. V.

Linktipp

Regionalisierung der Ernährungswirtschaft Bundesweit erste Regionalitätsstrategie für NRW veröffentlicht

Unter Leitung des Landesverbandes Regionalbewegung NRW e. V. erarbeitete das Netzwerk Regionalitätsstrategie NRW, dem über 30 Verbände, Einrichtungen und Initiativen angehören, konkrete Vorschläge zur Regionalisierung der Ernährungswirtschaft. Das Herzstück der Strategie sind die Handlungsempfehlungen zum Ausbau der regionalen Vermarktung nachhaltig erzeugter Produkte. Hierbei hat das Netzwerk zu vier Themenbereichen gearbeitet: Strukturentwicklung, Bürokratieabbau, Förderprogrammanpassungen und Qualifizierung. Die Empfehlungen richten sich sowohl an die Landes- wie auch die Kommunalpolitik. Aber auch die entsprechenden Verbände, die Kammern und Innungen haben Handlungsspielräume.

Den Link zum PDF-Download der Regionalitätsstrategie und weitere Informationen finden Sie unter www.nrw.regionalbewegung.de

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