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(BZfE) – Obwohl Stillen die natürliche und nachweislich gesündere Ernährung für Babys ist, hat sich der Umsatz der Hersteller für industriell hergestellte Säuglingsnahrung in den vergangenen 20 Jahren weltweit fast verdoppelt. Er lag 2019 bei 55 Milliarden Dollar. Je nach Land investieren Hersteller zwischen 5 und 10 Prozent des Umsatzes in Marketingaktivitäten.

Eine von der Weltgesundheitsorganisation (WHO) und UNICEF in Auftrag gegebene internationale Studie zeigt, wie Hersteller von Säuglingsnahrung weltweit versuchen, auf Ernährungsentscheidungen und -verhalten von Familien Einfluss zu nehmen. Für die Studie wurden 8.500 Schwangere und junge Mütter sowie 300 Gesundheitsfachkräfte in acht Ländern befragt: Bangladesch, China, Großbritannien, Mexiko, Marokko, Nigeria, Südafrika und Vietnam. Die Ergebnisse der zwischen 2019 und 2021 erhobenen Daten wurden am 23. Februar in einem Live-Stream der WHO präsentiert.

51 Prozent der befragten Frauen gaben an, Werbung für Säuglingsnahrung erhalten zu haben, etwa auf sozialen Medien oder in Kliniken – von 3 Prozent in Marokko bis 84 Prozent in Großbritannien und 97 Prozent in China. Zwischen 3 (Nigeria) und 46 Prozent (China) der Mütter erhalten kostenlose Proben, 20 Prozent sind es in Großbritannien. In Bangladesch sagten 57 Prozent der Mütter, Gesundheitspersonal habe ihnen industrielle Säuglingsnahrung empfohlen, in Großbritannien 30 Prozent. Die Studie zeigte auch: Je häufiger Frauen die Werbung wahrnehmen, desto positiver ist ihre Einstellung zu dieser Säuglingsnahrung.

Die Studie beschreibt gängige Marketingpraktiken: So werden online Kontaktdaten von Schwangeren gesammelt und diese erhalten dann zielgerichtete Werbung. Die Produkte werden als nahezu gleichwertig zur Muttermilch dargestellt, oft als allergievorbeugend und besonders verträglich. In Großbritannien haben alle Hersteller digitale Baby-Clubs gegründet, stellen sich freundschaftlich und vorurteilsfrei an die Seite der Familien, bieten 24/7-Hotlines und wecken subtil Zweifel, ob ihre Babys durch das Stillen gut versorgt sind. Marketingkampagnen zielen auf positive Emotionen und werben beliebte Influencerinnen als Botschafterinnen der Produkte an. Auch Gesundheitsfachkräfte werden gezielt kontaktiert und manche geben die Botschaften – wissentlich oder unwissentlich – an Familien weiter.

All diese Geschäftspraktiken verletzen den „WHO-Kodex“, den Internationalen Kodex zur Vermarktung von Muttermilchersatzprodukten. Dieser Kodex soll das Stillen und junge Familien vor kommerziellen Interessen schützen. Denn Milchpulver zu vermarkten ist ein Milliardengeschäft, während an einer gelingenden Stillbeziehung niemand verdient. Gleichzeitig ist wissenschaftlich gut belegt, dass das Stillen lebenslange positive Auswirkungen auf die Gesundheit von Mutter und Kind hat, auch in Industrieländern wie Deutschland.

Der Kodex hat den Status einer moralischen Empfehlung für alle Staaten der Welt. In Deutschland ist er teilweise als EU-Verordnung in geltendes Recht umgesetzt. Während etwa der Kodex Werbung für industrielle Säuglingsnahrung generell untersagt, ist Werbung in Deutschland nur für Säuglingsanfangsnahrung verboten. In Folge dessen floriert der Markt für Folgenahrung. Ebenfalls untersagt sind Gratisproben, Rabatte für Säuglingsanfangsnahrung oder Werbegeschenke mit Firmenlogos von Herstellern, etwa auf Mutterpasshüllen oder Spielzeug in Wartezimmern.

Hersteller von Säuglingsnahrung vermarkten ihre Produkte auch in Deutschland mit den im Bericht beschriebenen Praktiken. Gerade soziale Netzwerke werden derzeit intensiv für die Kommunikation mit Schwangeren, Müttern und Familien genutzt. Auch wenn Säuglingsanfangsmilch selbst nicht beworben wird, so nutzen Firmen sogenannte „Cross-Promotion“, so dass das positive Image und Wiedererkennungs-Effekte eines Folgemilch-Produkts auch auf das optisch ähnliche Anfangsmilch-Produkt abfärben.

Der Live-Stream zur Vorstellung des WHO-Berichts kann hier angesehen werden: https://www.who.int/news-room/events/detail/2022/02/23/default-calendar/marketing-the-USD-55-billion-formula-milk-industry 

www.bzfe.de

Weitere Informationen:

Zum WHO-Report

https://www.who.int/publications/i/item/9789240044609

Offener Brief zur Unterzeichnung gegen Werbung für Muttermilchersatzprodukte:
https://www.who.int/teams/maternal-newborn-child-adolescent-health-and-ageing/formula-milk-industry/endexploitativemarketing-of-formula-milk-products

Kurzfilm zu den Vermarktungspraktiken:
https://youtu.be/qkCxAM-oopI

Bestimmungen des WHO-Kodex und Umsetzung für Deutschland in einschlägigen EU-Verordnungen:
https://www.nationalestillfoerderung.de/images/pdf-extern/WHO-Kodex-EU-VO-Vergleich.pdf

Neutrale und wissenschaftlich fundierte Informationen für Schwangere und junge Familien gibt es hier:
www.gesund-ins-leben.de und auf Instagram @gesund.ins.leben

(Bildquelle: Аrtranq / Fotolia.com)

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