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Wie Kleinbauern in Kenia mit dem Anbau lokaler Getreidesorten und indigener Gemüse ihre Familien satt machen.

Gemüse
Joerg Boething

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Wie Kleinbauern in Kenia mit dem Anbau lokaler Getreidesorten und indigener Gemüse ihre Familien gesund machen.

Wenn die drei Kinder von Mable Kagesha und Christopher Itayi mittags aus der Schule kommen, sind sie hungrig wie die Löwen. „Es fühlt sich gut an, ihnen eine so reich gedeckte Tafel bieten zu können“, sagt die 35-Jährige Mutter aus dem Dorf Budira im Westen Kenias. 

Kerzengerade sitzt Mable Kagesha in ihrem geblümten Kleid am Tisch. Schüsseln mit Muß aus Kochbananen, frischen Erdnüssen, Süßkartoffeln, Bohnen, Maiskolben und verschiedenen Blattgemüsen stehen auf der gehäkelten Tischdecke. Aus einem Kanister füllt Mable Kagesha einen Brei aus Sorghum und Hirse in Becher. Gierig machen sich die Kinder über das Essen her. Schon am Morgen war der Tisch vor der Schule reich gedeckt, wie auch jetzt nach dem Nachmittagsunterricht, um die Zeit bis zum Abendessen zu überbrücken. „Aber sie wachsen halt.“ Mable Kagesha lächelt
nachsichtig. 

Nicht immer konnte die Familie sich so ernähren. „Früher haben wir nicht diese Vielfalt angebaut, die unserer körperlichen Entwicklung heute so gut tut.“ Christopher Itayi grinst und nippt an dem Becher mit dem Brei. Er ist ebenfalls hungrig. Schließlich hat der Kleinbauer seit dem frühen Morgen auf dem Feld gearbeitet. Die harte Arbeit unter der Äquatorsonne ist ihm anzusehen. Bei jeder Bewegung spannen sich die sehnigen Muskeln. Fast sein ganzes Leben hat der 38-Jährige auf dem Feld gearbeitet, zunächst für den Vater, heute auf seinem eigenen Land. Allerdings mit einem entscheidenen Unterschied: denn seit sich die Familie anders ernährt „habe ich viel mehr Kraft und kann länger und intensiver arbeiten.“


Das liegt vor allem an den lokalen Getreidesorten und dem indigenen Gemüse, die er nun seit einigen Jahren anbaut. Das dafür nötige Wissen sowie das richtige Saatgut hat er von der Nichtregierungsorganisation Rural Service Programm (RSP) erhalten, die von Brot für die Welt aus Deutschland untertstützt wird. „Wenn ein Kleinbauer nicht fit ist, lässt die Produktivität seiner Landwirtschaft nach, was wiederum die Ernährungssituation der ganzen Familie verschlechtert“, sagt Listone Ayodi von RSP. „Besonders leiden die Kinder unter falscher Ernährung“, so Ayodi weiter. Sie sind geschwächt und anfällig für Krankheiten. In der Schule kommen sie nicht mit, weil es ihnen an Energie und Konzentration fehlt. Vor allem in der Zeit direkt nach der Geburt hat eine unzureichende Ernährung schlimme Folgen. „Für lange Zeit kann sie die gesamte Entwicklung des Kindes beeinträchtigen.“

Eigentlich hatten die Menschen hier in den Bergen oberhalb der Hafentadt Kisumu am Victoriasee traditionell lokale Sorten angebaut. Doch in den letzten Jahrzehnten setzten sie zunehmend auf wenige Hybridsorten aus den Industrieländern. Die erwarteten hohen Erträge blieben aus. Zudem bot vor allem der weit verbreitete Mais alleine zu wenig Nährstoffe. Das Wissen um die lokalen Sorten aber war verloren gegangen.

Heute wächst auf den Farmen wieder eine große Vielfalt. Der Gang durch Christopher Itayis Feld hinter dem Lehmhaus der Familie gleicht einem Rundweg in einem botanischen Garten. Sorghum, Hirse, Erdnüsse, Amaranth, lokale Bananen, verschiedene Bohnen, Linsen und Kartoffeln wachsen in der roten Erde. Hinzu kommen zahlreiche Kohl-, Kürbis- und Spinatsorten sowie Blattgemüse, deren Wert als Nahrungsmittel in Europa weitgehend unbekannt ist. Das Schwarze Nachtschattengewächs oder die Grünlilie enthalten viele Vitamine, Mineralstoffe und Spurenelemente. Das afrikanische Mito, eine feinblättriger Wild- und Kulturpflanze, ist reich an Vitamin A und Betakarotin. Sehr nahrhaft sind auch die Blätter der Augenbohne oder der Kürbispflanze. Die einheimischen Blattgemüse enthalten zum Teil sogar medizinische Wirkstoffe, die in der traditionellen Heilung eingesetzt werden, ob zur Verstärkung der Blutbildung, zur Schmerzlinderung oder zur Entzündungshemmung.

Auch traditionelle Getreide wie Amaranth oder die Hirseart Sorghum bieten ein wahres Füllhorn an Nährstoffen. Sorghum enthält neben Fluor, Schwefel, Phosphor, Magnesium und Kalium viel Kieselsäure und Eisen. Noch dazu ist es glutenfrei.

Christopher Itayis Land ist nicht einmal halb so groß wie ein Fußballfeld. Wie es der Brauch verlangt, musste er das Erbe seines Vaters mit seinen Brüdern teilen. So wird der Landbesitz immer kleiner und ernährt seine Bebauer immer schlechter. Trotzdem reichen die Erträge nun, um die ganze Familie zu ernähren, einschließlich der geistig behinderten Schwester und der 76 Jahre alten Mutter Christopher Itayis. „Früher mussten wir häufig eine Mahlzeit am Tag auslassen, weil zu wenig da war“, erinnert sich der Farmer. Um die Familie halbwegs satt zu bekommen, war er gezwungen, als Tagelöhner auf anderen Farmen zu arbeiten. Aber selbst wenn sie satt wurden, hatten sie alle mit Mangelerscheinungen zu kämpfen – vor allem die Kinder. „Sie haben sich ständig gekratzt, hatten schorfige Stellen auf der Haut, litten an Kopfschmerzen, Durchfall und waren wegen Blutarmut blass und müde“, erzählt Mable Kagesha. In der Schule konnten sie sich nicht konzentrieren. Auch wuchsen und entwickelten sie sich zu langsam, fingen erst spät an zu sitzen und zu krabbeln oder zu lächeln und andere Menschen zu erkennen. Wenn ein Mensch als Baby oder Kleinkind mangelernährt wird, verzögern sich alle diese
Entwicklungsschritte. Unter den Folgen leidet er oft noch als Erwachsener. Heute sind die drei Kinder von Mable Kagesha nur noch sehr selten krank. „In der Schule gehören sie zu den Besten.“ Mable Kageshas Augen leuchten. „Und wenn ich mit ihnen zur Routineuntersuchung in die Stadt fahre, nicken die Ärzte zufrieden.“

Auch ihr eigener Zustand hat sich verbessert. Als Mable Kagesha mit der Jüngsten schwanger war, fühlte sie sich kräftiger als in den Schwangerschaften zuvor. Nach der Geburt half ihr die gezielte Ernährung mit Spinat, Amaranth oder den Blättern von Kürbispflanzen das verlorene Blut schneller wieder aufzubauen. „Und in der Stillzeit hatte ich immer genug Milch.“

Selbst ihrer Schwiegermutter geht es besser. Die 76 Jahre alte Gladies Emenza hockt im Schatten der Hütte an die rissige Lehmwand gelehnt und genießt die leichte Brise, die über den Hof weht. Gladies Emenza hat Diabetes und Bluthochdruck. Nachmittags ging es ihr immer sehr schlecht, sie konnte kaum gehen und sprach nur schleppend. Nun hält sie die Krankheiten alleine mit der ausgewogenen Ernährung in Schach. „Ich mag vor allem den Brei aus Sorghum.“ Gladies Emenza schaut zu dem Hibiskusbaum in der Mitte des Hofes.

Eine gesunde Ernährung auf der Basis lokaler Sorten hilft sogar den vielen AIDS-Infizierten im Projektgebiet. Die Prävalenzrate hier ist die zweithöchste in Kenia. Etwa jeder zweite Todesfall ist auf HIV zurückzuführen. Glücklicherweise sinkt zwar die Todesrate dank der kostenlosen Ausgabe von antiretroviralen Medikamenten. Die Betroffenen aber müssen gesundheitlich stabilisiert und die Nebenwirkungen der Medikamente gelindert werden.

Agatha Mwavishi hat das durch eine verbesserte Ernährung mithilfe traditioneller Lebensmittel geschafft, die sie auf ihrem kleinen Feld anbaut. Eigentlich geht es ihr deshalb ganz gut. Aber wie die 46-Jährige jetzt in ihrer Lehmhütte an dem Tisch sitzt und ihre Geschichte erzählt, geht ihr Blick tief nach innen. „Ich war wie betäubt nach dem HIV-Test mit dem Positivergebnis.“ Agatha Mwavishi knetet die Hände und spricht sehr leise weiter. Nachdem ihr Mann an den Folgen von Aids gestorben war, gab dessen Familie ihr die alleinige Schuld. Anstatt die Witwe mit ihren vier Kindern zu unterstützen, versperrte sie die Zuwege zu ihrem kleinen Haus, vertrieb Besucher, wiegelte das Dorf gegen sie auf und wünschte ihr offen den Tod. Hier im Westen Kenias zieht die Frau in das Dorf ihres Mannes. Die eigene Familie lebt
häufig weit weg.

Dann wurde die Witwe selbst krank und ließ sich testen. „Gegen HIV fühlte ich mich eigentlich immer geschützt.“ Für einen Moment hält Agatha Mwavishi inne. „Mein Mann hatte mir nie von seiner Infektion erzählt.“ 

Zum Glück begannen die Mitarbeiter vom RSP, sich um sie zu kümmern, überzeugten den Dorfvorsteher, der Familie des Mannes Einhalt zu gebieten und einem neuen Weg zu ihrem Haus zuzustimmen. Dann trat Agatha Mwavishi einer Selbsthilfegruppe HIV-positiver Menschen im Dorf bei. „Wir teilen unsere Gefühle und unterstützen uns gegenseitig.“ Zum ersten Mal blickt die zierliche Witwe wieder auf, sie lässt den Blick durch den kleinen Raum schweifen, über das Steiftier ihrer jüngsten Tochter und die Teenagerplakate der älteren an der Lehmwand. Die Gruppe leistet aber auch praktische Hilfe. Wenn sie krank sind, erledigen die Mitglieder füreinander die Hausarbeit, gucken nach den Kindern, füttern die Hühner und Kaninchen oder pflegen den Gemüsegarten.

Ihr Gemüsegarten gibt Agatha Mwavishi und den Kindern eine große Sicherheit. „Unser Speiseplan ist seitdem reichhaltig und abwechslungsreich, die Kinder sind gesund und leistungsfähig.“ Das freut sie besonders für die Kleinste, die auch HIV-positiv ist.

Mutter und Tochter leiden zum Teil unter den Nebenwirkungen der antiretroviralen Medikamente. Die verbesserte Ernährung
stärkt ihr Immunsystem. Einige Nahrungsmittel wie Amaranth unterstützen sogar den Aufbau von T-Helferzellen, die aidsdefinierte Erkrankungen verhindern. 

Agatha Mwavishi hat die Zahl der T-Helferzellen in ihrem Blut mithilfe der Medikamente und der neuen Ernährung zunächst stabilisieren und dann steigern können. „Das ist gut.“ Agatha Mwavishi nickt, als wenn sie sich dessen selbst versichern muss. „Das Wichtigste aber ist, dass es den Kindern gut geht.“ Und das tut es. Dank der gesunden Ernährung, die sie ihnen trotz aller Widrigkeiten bieten kann.

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Der Autor

Klaus Sieg

Freiberuflicher Autor und Redaktionsleiter unterschiedlicher Publikationen