BMEL-Ernährungsreport 2019
Der hohe Fleischkonsum in Deutschland ist ungebrochen, doch in Sachen Tierschutz findet ein Umdenken statt: Immer mehr Verbraucher wünschen sich Fleisch und Fleischprodukte von Tieren, die artgerecht gehalten und geschlachtet wurden. Dafür sind viele bereit, deutlich mehr zu bezahlen. Allerdings wünschen sich die Konsumenten auch ein staatliches Label, das eine verbindliche Einkaufshilfe darstellt, wie die Ergebnisse des BMEL-Ernährungsreports 2019 zeigen.
Artgerecht und tierschutzgerecht - was bedeutet das?
Bislang sind die Begriffe „artgerecht“ und „tierschutzgerecht“ gesetzlich nicht geschützt und dürfen verwendet werden, solange sie nicht gegen gesetzliche Vorgaben verstoßen. Für die Haltung von Nutztieren hat der Gesetzgeber zahlreiche Vorgaben an die Züchtung, Haltung, medizinische Behandlung, Transport und Schlachtung von Tieren gemacht. Sie zielen darauf ab, dass ein Tier seinen Bedürfnissen entsprechend gehalten und unnötiges Leid sowie Umweltbelastungen vermieden werden.
Kritische Stimmen beanstanden bereits seit langem, dass die bestehenden gesetzlichen Anforderungen an den Schutz von Nutztieren hinsichtlich vieler Aspekte unzureichend sind. Aufnahmen aus Ställen von gequälten Legehennen und Mastschweinen, die Missstände dokumentieren, verunsichern den Verbraucher zusätzlich.
Staatliches Tierwohl-Label wird in 2020 eingeführt

In Zusammenarbeit mit Tierhaltern, Handel, Verbraucherzentrale und Tierschutzbund sowie Vertretern aus Wissenschaft und Branchenverbänden sollen 2020 erste Produkte vom Schwein mit einem staatlichen Tierwohl-Label in den Handel kommen.Weitere Nutztiere sollen folgen.
Geplant ist eine dreistufige Labelung, mit der eine Reihe von Maßnahmen von der Geburt bis zur Schlachtung umgesetzt werden sollen. Das Platzangebot soll vergrößert, Beschäftigungsmaterial gestellt und die Gestaltung der Stallabteile verbessert werden. Hinzu kommen Änderungen bei der Kastration der Eber, bei den Transportbedingungen, dem Schlachtvorgang und einiges mehr.
Vielen Tier- und Umweltschutzorganisationen ist vor allem die ersten Stufe des künftigen Labels nicht ambitioniert genug, da das Platzangebot nur sehr geringfügig steigt. Es muss abgewartet werden, ob die Kunden sich auf Produkten der Stufe 1 ausruhen werden oder für mehr Tiergerechtigkeit auch in Produkte der Stufen 2 und 3 investieren werden.
Weitere Informationen zum Tierwohl-Label
Kriterien des staatlichen Tierwohl-Labels für Schweine als Grafik
Das BMEL zur Einführung des Tierwohl-Labels für Schweine
Informationen des Bundesinformationszentrums Landwirtschaft zum Tierwohl in der Landwirtschaft
Stellungnahme des Verbraucherzentrale Bundesverband zum staatlichen Tierwohl-Label
Haltungssiegel der Discounter

Die großen deutschen Discounter haben 2018 jeweils eigene Haltungssiegel eingeführt, die einander optisch und inhaltlich stark ähneln. Die Kennzeichnung ist oben auf der Verpackung aufgedruckt und zeigt in vier Stufen an, wie das Tier gehalten wurde: von Stallhaltung nach den gesetzlichen Vorgaben bis hin zur Haltung nach EU-Bio-Standard. Die Discounter wollen damit dem Kunden mehr Transparenz und Orientierung an die Hand geben. Ihr Ziel ist es, das Angebot an Fleischprodukten ab Level 2 im Laufe dieses Jahres deutlich zu steigern.
Fleisch aus artgerechter Tierhaltung gibt es längst - Jetzt muss es auch gekauft werden
Höhere Tierschutzstandards gibt es bereits wie zum Beispiel bei Neuland- oder Bio-Fleisch. Insbesondere Öko-Verbände wie Bioland, Naturland und Demeter aber auch die anderen Öko-Verbände achten auf eine artgerechte Haltung und gehen weit über die Vorgaben für EU-Bio-Produkte hinaus. Eine überverbandliche Tierwohl-Checkliste der drei großen Verbände dient dazu, die gute Tierhaltung zu gewährleisten, zu kontrollieren und weiter zu verbessern.
Insgesamt ist das Angebot an Neuland- oder Bio-Fleisch jedoch noch sehr gering, die Auswahl entsprechend klein und somit für den Verbraucher nur eingeschränkt attraktiv. Zudem ist es teurer und liegt über dem Preisniveau, das viele Verbraucher bereit sind zu bezahlen. Es muss sich jetzt zeigen, ob alle Umfrageergebnisse nur den theoretischen Kaufwillen der Konsumenten abbilden oder ob auch praktisch künftig nach Tierwohl-Erwägungen eingekauft wird. Dann wird es auch bald deutlich mehr Auswahl geben.





Weitere Tierschutz-Siegel und Label
Einige Initiativen, Vereine, der Handel und Erzeuger haben eigene Tierschutz-Label oder Kundeninformationen ins Leben gerufen:
Tierschutzbund "Für mehr Tierschutz"

Dieses Label wurde 2011 vom Deutschen Tierschutzbund eingeführt und wird vom Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft unterstützt. Es kennzeichnet Produkte tierischen Ursprungs, bei denen Tierschutzstandards zugrunde liegen, die wesentlich strenger als die gesetzlichen sind. Das Label besteht aus einer Einstiegsstufe mit verbindlichen Grundanforderungen und einer Premiumstufe mit sehr hohen Anforderungen an tiergerechte Haltung, Transport und Schlachtung. Das zweistufige System soll den Markteinstieg für möglichst viele Betriebe erleichtern.
Der Tierschutzbund versteht das Label ausdrücklich nicht als Werbung für den Konsum von Fleisch und Fleischprodukten, sondern er will den Verbraucher beim Einkauf darin unterstützen, für mehr Tierschutz einzustehen.
Vier Pfoten "Tierschutz-kontrolliert"

Die Tierschutzorganisation Vier Pfoten hat ihr zweistufiges Gütesiegel „Tierschutz-kontrolliert“ 2012 ins Leben gerufen, um die Lebensbedingungen von landwirtschaftlichen Nutztieren nachhaltig zu verbessern. Mit der Zertifizierung für das Label verpflichten sich die teilnehmenden Betriebe, Standards zum Schutz der Tiere einzuhalten, die weit über den gesetzlichen Vorgaben für die konventionelle Tierhaltung liegen. Der Verbraucher soll auf diese Weise für einen bewussteren Konsum informiert und sensibilisiert werden.
Neuland

Der NEULAND-Verein für tiergerechte und umweltschonende Nutztierhaltung e.V. wurde 1988 in Bonn gegründet. Er hat schon früher als alle anderen ein Markenprogramm für Fleisch aus besonders artgerechter und umweltschonender Tierhaltung etabliert: Neuland knüpft nicht an die Öko-Programme von Anbauverbänden wie Demeter oder Bioland an, verzichtet jedoch auf Gentechnik und den Einsatz von Antibiotika. An die Haltung der Tiere sind strenge Richtlinien geknüpft, die wesentlich höher als die gesetzlichen Standards sind. Mit Produktkontrollen durch den Deutschen Tierschutzbund setzt Neuland auf eine hohe Qualität des Fleisches sowie Glaubwürdigkeit hinsichtlich des Tierschutzes.
Initiative Tierwohl des Handels

Die Initiative Tierwohl ist eine Kooperation der Land- und Fleischwirtschaft mit dem Lebensmitteleinzelhandel. Finanziert wird die Initiative Tierwohl vom teilnehmenden Lebensmitteleinzelhandel. Die beteiligten Handelsunternehmen zahlen pro verkauftem Kilogramm Schweine- und Geflügelfleisch und -wurst 4 Cent an die Initiative. Mit diesem Geld werden Tierhalter für die Umsetzung von Tierwohlmaßnahmen unterstützt.
Lebensmitteleinzelhändler informieren mit dem abgebildeten Symbol über ihre Teilnahme an der Initiative im Geschäft. Und auch auf Verpackungen können Kunden Hinweise zur Initiative Tierwohl finden. Das bedeutet, dass das Geschäft die Initiative Tierwohl finanziell unterstützt. Es bedeutet aber nicht, dass das einzelne Produkt auch tatsächlich aus einem an der Initiative Tierwohl teilnehmenden Betrieb stammt. Bei diesem Label wird Kritik laut, dass die Tierschutz-Vorgaben nur gering über den gesetzlichen Vorgaben liegen.
Tier-Leasing - Fleisch vom Hof des Vertrauens

Beim Tier-Leasing, auch Lohnmast genannt, erhält der Verbraucher Fleisch aus artgerechter Tierhaltung – mit voller Kontrolle von der Geburt bis zur Schlachtung. Das Prinzip ähnelt einer Patenschaft für ein Nutztier: Der Kunde kauft zunächst sein eigenes Ferkel oder Kalb. Er zahlt bis zu seiner Schlachtung eine monatliche Gebühr. Dafür wird das Tier vom Bauern großgezogen und rundum versorgt. Das geschlachtete Tier gehört dann vollständig dem Kunden.
Angeboten wird dieses Konzept in der Regel nur von kleinen Bauernhöfen, oftmals handelt es sich um Bio-Höfe, die ein hohes Bewusstsein für eine artgerechte Haltung vertreten. Der Vorteil für den Landwirt liegt in der finanziellen Planbarkeit. Der Kunde wiederum kann das Großwerden seines Tieres jederzeit vor Ort verfolgen, sich persönlich von den Haltungsbedingungen überzeugen und den genauen Schlachttermin bestimmen. Der Kilopreis für das Fleisch ist im Schnitt nur geringfügig höher als das Fleisch aus dem Einzelhandel.
Fazit
Ein von den Verbrauchern mit großer Mehrheit gefordertes Tierwohl-Label, das verlässliche und transparente Kriterien für einen bewussten Einkauf von Fleisch und Fleischprodukten mitgibt, ist dringend notwendig.
Verbraucher, die derzeit gezielt Fleisch von Tieren aus artgerechter Haltung kaufen möchten, müssen sich selbstständig umfassend informieren und die Standards verschiedener Anbieter von Tierschutz-Siegeln kritisch vergleichen. Zudem ist Fleisch aus Betrieben mit artgerechter Tierhaltung bislang nur in wenigen Geschäften erhältlich. Es braucht also schon etwas Eigeninitiative, z.B. nach Recherche im Internet, um einen direkt vermarktenden Landwirt zu finden.
Bis der Verbraucher an jeder Theke zwischen konventionell erzeugtem Fleisch und Fleisch aus artgerechter Tierhaltung frei wählen kann, wird noch Zeit vergehen. Gefordert sind hier zum einen die Produzenten, die Nachfrage der Verbraucher nach artgerecht produziertem Fleisch zu bedienen. Zum anderen muss dem Verbraucher Orientierung und Transparenz für den Einkauf an die Hand gegeben werden. Ob in diesem Zusammenhang die von den großen Discountern eingeführten Haltungssiegel eine Orientierungshilfe darstellen oder eher für noch mehr Unübersichtlichkeit im Siegel-Dschungel führen, ist zu hinterfragen.
Wer sich für mehr Tierschutz beim Fleischkonsum einsetzen möchte, kann schon jetzt an der Ladentheke etwas tun und mit der bewussten Entscheidung für Bio- oder Neuland- Fleisch zeigen, dass alle Umfragen zu den kaufwilligen Verbrauchern nicht nur pure Theorie sind. Der deutlich höhere Preis lässt sich durch weniger Fleisch kompensieren – so wird zusätzlich die Umwelt geschützt.