Einfluss von Influencer-Werbung in den sozialen Medien auf Heranwachsende

Fragen an Dr. Pia Niessen vom Fraunhofer-Institut für System- und Innovationsforschung ISI

Person mit hochgelegten Beinen hält Handy in der Hand. © Gorodenkoff – stock.adobe.com
  • Das Projekt zur "Förderung adoleszenter Influencerinnen- und Influencer-Resilienz (FAIR)" wurde vom Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz, nukleare Sicherheit und Verbraucherschutz gefördert und vom Projektträger Bundesanstalt für Landwirtschaft und Ernährung (ptBLE) betreut.
  • Ziel von FAIR war es, den Einfluss von Influencerinnen und Influencern auf das Konsumverhalten von Heranwachsenden besser zu verstehen, sowie relevante Wirkungsmechanismen und Vulnerabilitätsfaktoren zu identifizieren.
  • Die Effekte auf die Kaufentscheidung werden durch „Lieblingsinfluencerinnen und -Influencer“ deutlich verstärkt. Heranwachsende nehmen sie als Freunde wahr und ihr Wertesystem verbindet sie mit ihnen.
  • Die Projektergebnisse zeigen auch, dass Kinder und Jugendliche besonders vulnerabel für Werbung in sozialen Medien sind und noch nicht die Kompetenz besitzen, ihren Konsum eigenständig gut zu steuern.
  • Zum Schutz von Heranwachsenden sollten die Online-Plattformen stärker reguliert und Advertising Literacy, also die Aufklärung über Werbemechanismen, besonders im Setting Schule gefördert werden.

Im Interview

Das Fraunhofer-Institut für System- und Innovationsforschung ISI hat im FAIR-Projekt gemeinsam mit der Hochschule Darmstadt und der Universität Mannheim untersucht, unter welchen Bedingungen sich Heranwachsende aufgrund von Influencer-Werbung online zum Kauf von Produkten animieren lassen. 
Wir sprechen mit Dr. Pia Niessen, Psychologin und wissenschaftliche Mitarbeiterin im Competence Center Nachhaltigkeit und Infrastruktursysteme am Fraunhofer-Institut für System- und Innovationsforschung ISI.

Frau Dr. Niessen, Sie haben federführend im Forschungsprojekt FAIR mitgearbeitet. Warum wurde das Projekt durchgeführt und was waren seine wichtigsten Ziele?

FAIR steht für “Förderung adoleszenter Influencerinnen- und Influencer-Resilienz”. Das Projekt wurde vom Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz, nukleare Sicherheit und Verbraucherschutz (BMUV) gefördert und vom Projektträger Bundesanstalt für Landwirtschaft und Ernährung (ptBLE) betreut. Es lief von Januar 2022 bis September 2023.

Ziel von FAIR war es, den Einfluss von Influencerinnen und Influencern auf das Konsumverhalten von Heranwachsenden besser zu verstehen sowie relevante Wirkungsmechanismen und Vulnerabilitätsfaktoren zu identifizieren. Dabei sollte im Detail erforscht werden, warum gerade Jugendliche eine vulnerable Gruppe darstellen und welche Konsumsituationen und -umgebungen sich als besonders kritisch darstellen. Auch die Merkmale der Influencerinnen und Influencer (z. B. Reichweite, behandeltes Themenfeld, Art der Produktplatzierung) wurden auf das Ausmaß der Beeinflussung hin untersucht und anschließend ein Konzept zur Resilienzstärkung betroffener Jugendliche entwickelt. Dieses wurde in der Folge an Schulen getestet und evaluiert. 

Skizzieren Sie bitte kurz die wichtigsten Ergebnisse der Untersuchung. Welche haben Sie am meisten überrascht?

Die Effekte auf die Kaufentscheidung, also der empfundene Kaufdruck oder Kaufzwang, werden durch „Lieblingsinfluencerinnen und -Influencer“ deutlich verstärkt. Das Ausmaß dieses Effekts, der sogenannten parasozialen Beziehungen, hat mich am meisten überrascht. Das heißt: Kinder und Jugendliche nehmen den Influender oder die Influencerin als Freund/in wahr und bauen ein sehr enges Verhältnis auf. Eine solche Bindung erklärt, warum das Marketing an dieser Stelle so wirkungsvoll ist. Zugespitzt formuliert könnte man sagen, dass die Vulnerabilität der Heranwachsenden in Form ihrer sozialen Bedürfnisse und in Kombination mit einer oft noch nicht entwickelten Impulskontrolle ausgenutzt wird, um Produkte zu bewerben und zu verkaufen. 

Ein weiterer Aspekt, der die Wirksamkeit von Influencerinnen- und Influencer-Werbung beeinflusst, ist das Wertesystem, das die Kinder und Jugendlichen mit den Influencerinnen und Influencern verbindet. Geht es vor allem um materialistische Werte und sind die Heranwachsenden in diese Richtung durch ihr Umfeld vorgeprägt, ist die Wirksamkeit des Marketings ebenfalls höher. Nur einigen Kindern und Jugendlichen stehen besondere Schutzfaktoren zur Verfügung, etwa durch das Elternhaus, die sie davor schützen, dem Kaufdruck nachzugeben. Dazu gehört eine fortgeschrittene Entwicklung der Impulskontrolle und die sogenannte Advertising Literacy, also das Wissen und die Aufklärung über Werbemechanismen. Diese beiden Faktoren stellen Ansatzpunkte dar, um die Resilienz von Heranwachsenden zu fördern. 

Wie schätzen Sie die Situation in Bezug auf die Bewerbung und den Konsum von Energydrinks ein? Welche Maßnahmen zum Schutz von Heranwachsenden sollten Ihrer Ansicht nach am dringendsten umgesetzt werden?

Durch die Ergebnisse im Projekt FAIR konnten wir belegen, dass Kinder und Jugendliche besonders vulnerabel für Werbung in sozialen Medien sind und noch nicht die Kompetenz besitzen, ihren Konsum eigenständig gut zu regulieren. Der durch die parasoziale Beziehung entstehende Kaufimpuls kann sich auch auf Produkte beziehen, die möglicherweise sehr teuer sind oder im Verdacht stehen, gesundheitsschädliche Wirkungen zu haben wie etwa Energydrinks. Eine rationale Kaufentscheidung nach eigenen Maßstäben nach dem Motto „Schmecken mir diese Getränke überhaupt? Sind sie gesund?“ ist mit dieser Form von Werbung viel zu schwach, um gegen das Beziehungsbedürfnis gegenüber den Lieblingsinfluencerinnen und -Influencern anzukommen. 

Aus unserer Sicht ist es dringend notwendig, die Plattformen stärker zu regulieren – entweder in dem Sinne, dass Kinder und Jugendliche nur eingeschränkte Nutzungsmöglichkeiten haben oder dass die Bewerbung durch Influencerinnen und Influencer stärker kontrolliert oder so gesteuert wird, dass Kinder und Jugendliche besser geschützt sind. In der analogen Welt gibt es dafür ja zum Teil auch schon Beispiele gesetzgebender Einschränkungen. 

Was empfehlen Sie Eltern, Lehrkräften, Kinder- und Jugendbetreuenden und anderen Bezugspersonen von Heranwachsenden? 

Wir empfehlen die Förderung von Advertising Literacy, also der Aufklärung über die Wirkung von Werbung. Das kann sowohl an Schulen als auch im privaten Kontext geschehen. Kinder und Jugendliche sollten mit ihren Bezugspersonen reflektieren, welche Bedürfnisse hinter ihren Kaufimpulsen in den sozialen Medien stehen und wie diese Bedürfnisse anders gestillt werden können – ohne dabei Schulden aufzubauen, gesundheitsschädliche Produkte zu konsumieren oder auch einfach Kaufentscheidungen zu treffen, die sich im Nachhinein als unnötig herausstellen. Ein solcher Reflektionsprozess kann sich gut in den sowieso stattfindenden Entwicklungsprozess der Adoleszenz eingliedern – bislang existieren dafür aber für viele Eltern und Fachkräfte noch unzureichende Erfahrungen oder Materialien. In vielen Familien ist das Thema „Socialmedia“ sowieso ein großer Konfliktherd. Deshalb sehen wir die hauptsächliche Verantwortung auf gesetzgebender Ebene. In einigen anderen Ländern, zum Beispiel Australien, werden die Gefahren der Nutzung von sozialen Medien durch Kinder und Jugendliche politisch deutlich ernster genommen als in Deutschland. 

Vielen Dank für das Interview!


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