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Viele Alkaloide entfalten Wirkungen, die in Lebensmitteln unerwünscht sind, weil sie die Gesundheit schädigen können. Deshalb gibt es viele neue Regelungen zu Alkaloiden in Lebensmitteln.

Sallenbuscher / stock.adobe.com

Neue Regelungen zu Alkaloiden in Lebensmitteln – Online-Spezial Lebensmittelrecht (PDF-Download)

Alkaloide sind eine nicht scharf abgegrenzte Gruppe N-haltiger, überwiegend basisch reagierender Naturstoffe mit meist bitterem Geschmack. Sie werden von Pflanzen, Bakterien, Pilzen undTieren gebildet.Über zehntausend Verbindungen sind bekannt. Nachdem im Molekül vorhandenen N-Heterozyklus lassen sich Chinolin-, Chinolizidin-, Isochinolin-, Imidazol-, Chinazolin-, Indol-, Purin-, Pyridin-, Piperidin-, Terpen-, Pyrrolizidin- und Tropanalkaloide unterscheiden.

Ergotalkaloide

Ergot- oder Mutterkornalkaloide finden sich in den Pilzmycelen (Sklerotien) von Mutterkornpilzen. Der in Europa am weitesten verbreitete Mutterkornpilz ist der Schlauchpilz Claviceps purpurea. Er befällt hauptsächlich Roggen, aber auch Weizen, Gerste, Hafer, Dinkel und Wildgräser. An den Getreideähren bilden sich dann keine Körner, sondern die Mutterkorn-Sklerotien. Diese enthalten – bezogen auf die Trockenmasse – bis zu 1 Prozent der toxischen Mutterkorn- oder Ergotalkaloide.

Derzeit sind mehr als 50 verschiedene Ergotalkaloide bekannt. Der prominenteste Vertreter ist Lysergsäurediethylamid (LSD). Ergotalkaloide können unter anderem Gefäßverengungen, Uteruskontraktionen, Halluzinationen, Übelkeit und Erbrechen hervorrufen. Die Bezeichnung „Mutterkorn“ rührt von der früheren Verwendung bei Schwangerschaftsabbrüchen her. Schwere Mutterkornvergiftungen äußern sich im sog. Ergotismus, bei dem durch die gefäßverengende Wirkung ganze Gliedmaßen absterben können.

Bislang legte die Verordnung (EG) 1881/2006 lediglich einen Höchstgehalt von 0,5 Gramm je Kilogramm (g/kg) für Ergotsklerotien in unverarbeitetem Getreide außer Mais und Reis fest. Ein negativer Nachweis von Ergotsklerotien bedeutet jedoch nicht, dass eine Getreidecharge keine Ergotalkaloide enthält. Vielmehr zeigen Untersuchungen, dass die Sklerotien zu kleineren Partikeln zerfallen und den Getreidekörnern anhaften können.

Mit der Verordnung (EU) 2021/1399 vom 24. August 2021 (ABl. L 301 vom 25. August 2021, S. 1) hat die Europäische Kommission nun erstmals Höchstgehalte für Mahlerzeugnisse aus Roggen, Weizen, Gerste, Dinkel und Hafer sowie in Weizengluten und Getreidebeikost für Säuglinge und Kleinkinder festgelegt. Der bestehende Höchstgehalt für Ergotsklerotien wird auf 0,2 g/kg abgesenkt. Für unverarbeiteten Roggen wird dieser Höchstgehalt erst ab 1. Juli 2024 gelten. Die übrigen Höchstgehalte gelten seit 1. Januar 2022. Lebensmittel, die vor dem 1. Januar 2022 rechtmäßig in den Verkehr gebracht wurden, dürfen noch bis zu ihrem Mindesthaltbarkeits- oder Verbrauchsdatum im Verkehr bleiben (Tab. 1 ).

Die Verordnung (EU) 2020/2040 ist am 3. Januar 2021 in Kraft getreten. Die neuen Höchstgehalte gelten seit 1. Juli 2022. Wie die Meldungen im Europäischen Schnellwarnsystem RASFF zeigen, gibt es zahlreiche Beanstandungen von Kreuzkümmel und Oregano wegen ho- her PA-Gehalte. Die Europäische Kommission hat die Mitgliedstaaten und die Wirtschaftsbeteiligten deshalb zu erhöhter Wachsamkeit aufgerufen. Auf der Grundlage von Artikel 14 der Verordnung (EG) 178/2002 ist es möglich, hoch belastete Erzeugnisse aus dem Verkehr zu ziehen.

Pyrrolizidinalkaloide

Pyrrolizidinalkaloide (PA) sind inherente Pflanzentoxine, die bislang in über 350 verschiedenen Pflanzen nachgewiesen wurden. Hauptsächlich finden sie sich in Pflanzen der Familien der Korbblütler (Asteraceae), der Raublatt- oder Borretschgewächse (Boraginaceae) und der Hülsenfrüchtler (Fabaceae). Chemisch handelt es sich um Ester aus einer Necinbase und aliphatischen Mono- oder Dicarbonsäuren (Necinsäuren). Wahrscheinlich dienen PA den Pflanzen zum Schutz vor Fraßfeinden. Man kennt inzwischen über 660 Verbindungen und deren N-Oxide (PANO). Wegen der großen Zahl und der strukturellen Vielfalt der Verbindungen gestaltet sich der analytische Nachweis schwierig.

In Deutschland enthalten z. B. das Jakobskreuzkraut und das Gemeine Greiskraut (Kreuzkraut) PA. PA, bei denen die Necinbase eine 1,2-ungesättigte Necinstruktur aufweist, die mit mindestens einer verzweigten C5-Carbonsäure verestert ist, zeigen im Tierversuch lebertoxische Wirkungen. Vergiftungsfälle durch PA kommen bei Nutztieren immer wieder vor, beim Menschen sind bisher nur Einzelfälle bekannt geworden. Von den bekannten 660 PA gelten rund die Hälfte im Tierversuch als genotoxische Kanzerogene. Erstes Zielorgan ist die Leber, es können aber auch andere Organe in Mitleidenschaft gezogen werden. Für die gesundheitsschädlichen Wirkungen sind offenbar nicht die PA selbst, sondern die im tierischen und menschlichen Organismus gleichermaßen gebildeten Abbauprodukte verantwortlich. Auch geht man davon aus, dass PANO im Organismus in PA umgewandelt werden.

PA gelangen über verschiedene Eintragspfade in Lebensmittel:

  • Getreidekörner, Leguminosen, Tee, Kräuter, Gewürzpflanzen, Ölsaaten etc. können mit PA-bildenden Wildkräutern (sog. Beikräuter) verunreinigt werden.
  • Über Bienen, die an PA-bildenden Pflanzen (z. B. Echium-, Senecio- und Borago-Arten) Pollen sammeln, gelangen die Substanzen in den Honig.
  • Durch Übertragung (sog. Carry over) aus kontaminierten Futtermitteln, die von Nutztieren gefressen werden, gelangen PA in Lebensmittel tierischen Ursprungs. Bisher gibt es allerdings keine Hinweise, dass die PA-Gehalte solcher Lebensmittel mit gesundheitlichen Risiken einhergehen.
  • Durch die direkte Verarbeitung von Rohstoffen, die von PA-bildenden Pflanzen (z. B. Borretsch und andere Kräuter) stammen, gelangen PA in Lebensmittel wie insbesondere Nahrungsergänzungsmittel.

Die Europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit (EFSA) hat am 26. August 2016 ihr Gutachten zur Exposition der europäischen Bevölkerung gegenüber PA aus Lebensmitteln vorgelegt. Lässt man Nahrungsergänzungsmittel unberücksichtigt, so tragen Kräutertee, Rooibostee, schwarzer Tee, grüner Tee und Honig dem- nach am stärksten zur Exposition von Kindern und Erwachsenen bei. Nach Auffassung des Bundesinstituts für Risikobewertung (BfR) können die in Lebensmitteln gefundenen PA-Mengen sowohl für Kinder als auch für Erwachsene bei längerer (chronischer) Aufnahme gesundheitlich bedenklich sein. Ein akutes Gesundheitsrisiko besteht jedoch nicht.

Die PA-Gehalte in Lebensmitteln sollen deshalb gemäß dem ALARA (As low as reasonably achievable)-Prinzip minimiert werden. Die Codex Alimentarius-Kommission hat eine Verfahrensanweisung („Code of Practice”) zur Vermeidung der Kontamination von Lebensmitteln und Futtermitteln mit PA herausgegeben. In Deutschland hat das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) am 1. März 2016 die tägliche Aufnahmemenge von PA aus Arzneimitteln, die pflanzliche Stoffe oder pflanzliche Zubereitungen oder homöopathische Zubereitungen aus pflanzlichen Ausgangsstoffen als Wirkstoffe enthalten, auf ein Mikrogramm (μg) begrenzt. Österreich und das Vereinigte Königreich haben sich dieser Maßnahme angeschlossen.

In ihrer Stellungnahme vom 21. Juni 2017 hob die EFSA gesundheitliche Bedenken vor allem bei solchen Personen hervor, die sehr viel Tee trinken. Kräutertee, Rooibostee, schwarzer Tee, grüner Tee und Honig tragen am stärksten zur Exposition von Kindern und Erwachsenen bei. Risiken bestehen hauptsächlich aufgrund der chronischen Toxizität, die Aufnahme von Nahrungsergänzungsmitteln auf der Basis PA-bildender Pflanzen kann aber auch zu akuten Gesundheitsrisiken führen

Die Verordnung (EU) 2020/2040 (ABl. L 420 vom 14.12.2020, S. 1) legt daher erstmals Höchstgehalte für PA in bestimmten Lebensmitteln wie Tee, Kräutertee, Gewürzen und Nahrungsergänzungsmitteln fest (Tab. 2). Die Höchstwerte beziehen sich auf die Untergrenze der Summe der folgenden 21 Pyrrolizidinalkaloide (Tab. 3) sowie die folgenden zusätzlichen 14 Pyrrolizidinalkaloide, die bei den derzeit verwendeten Analysenmethoden bekanntermaßen mit einem oder mehreren der oben genannten 21 Pyrrolizidinalkaloide koeluieren (Tab. 4).

Tropanalkaloide

Tropanalkaloide sind natürlich auftretende Pflanzentoxine. Sie kommen als Sekundärmetabolite in Kreuzblütlern und Nachtschattengewächsen wie Bilsenkraut, Stechapfel und Tollkirsche (Belladonna) vor. Es handelt sich um anticholinerge Substanzen, die den Neurotransmitter Acetylcholin blockieren. Pflanzen bilden sie zum Schutz vor Fraßfeinden. Werden sie von Menschen aufgenommen, können sie Benommenheit, Sehstörungen, Herzklopfen, Desorientierung und Halluzinationen hervorrufen. Schwere Vergiftungen können tödlich enden.

Tropanalkaloide treten als Verunreinigungen in Ackerkulturen auf. Am stärksten betroffen sind Buchweizen, Hirse und Mais, aber auch Hülsenfrüchte und Tee. Ursache der Kontamination sind Wildkräuter, die entweder auf dem Feld oder in der Nachbarschaft der Ackerkultur wachsen. Ist die Kontamination einmal aufgetreten, so ist es sehr schwierig, die Wildkräuter mechanisch wieder aus dem Erntegut zu entfernen.

Die am besten untersuchten Tropanalkaloide sind (-)-Hyoscyamin and (-)-Scopolamin. Das racemische Gemisch aus (-)- und (+)-Hyoscyamin heißt Atropin. 2013 hatte die EFSA eine akute Referenzdosis (ARfD) von 16 Nanogramm je Kilogramm (ng/kg) Körpergewicht für (-)-Hyoscyamin and (-)-Scopolamin festgelegt. 2017 wies sie darauf hin, dass Brot, Getreideprodukte und Tee am stärksten zur Exposition beitragen. Die ARfD wird vor allem bei Säuglingen, Kleinkindern und Kindern überschritten.

Im Sinne des gesundheitlichen Verbraucherschutzes waren deshalb weitere Risikomanagementmaßnahmen wie insbesondere die Festlegung von Höchstgehalten erforderlich. Die Verordnung (EU) 2016/239 legte bereits jeweils einen Höchstgehalt von 1,0 μg/kg für Atropin und Scopolamin in Getreidebeikost und anderer Beikost für Säuglinge und Kleinkinder fest, die Hirse, Sorghum, Buchweizen oder daraus gewonnene Erzeugnisse enthält.

Die Verordnung (EU) 2021/1408 (ABl. L 304 vom 30. August 2021, S. 1) ergänzt nun diesen bestehenden Höchstgehalt um weitere Höchstgehalte: Erstens gilt der Höchstgehalt für Getreidebeikost nun auch für Erzeugnisse aus Mais. Zweitens werden neue Höchstgehalte festgelegt (Tab. 5). Getreidebeikost und andere Beikost für Säuglinge und Kleinkinder, die Mais oder daraus gewonnene Erzeugnisse enthalten und vor Inkrafttreten der Verordnung (EU) 2021/1408 rechtmäßig in den Verkehr gebracht wurden, dürfen bis zu ihrem Mindesthaltbarkeits- oder Verbrauchsdatum im Verkehr verbleiben. In der Tabelle genannte sonstige Lebensmittel, die vor dem 1. September 2022 rechtmäßig in den Verkehr gebracht wurden, dürfen bis zu ihrem Mindesthaltbarkeits- oder Verbrauchsdatum weiter vermarktet werden.

Die Verordnung (EU) 2021/1408 ist seit 19. September 2021 in Kraft getreten. Die neuen Höchstgehalte gelten seit 1. September 2022. Die neue Regelung für Beikost gilt bereits seit dem 19. September 2021.

Opiumalkaloide

Opium ist der durch Anritzen gewonnene getrocknete Milchsaft unreifer Samenkapseln des Schlafmohns Papaver somniferum Linné. Es enthält pharmakologisch aktive Opiate wie insbesondere Morphin, Codein und Thebain. Diese Substanzen sind für ihre berauschende und schmerzlindernde Wirkung bekannt. In Deutschland unterliegen sie dem Betäubungsmittelgesetz. In Lebensmitteln sind sie unerwünscht. Die reifen Samen des Schlafmohns enthalten Öl und Protein. Sie werden zur Gewinnung von Speiseöl und zur Herstellung von Backwaren verwendet. Mohnsamen weisen nur geringe Opiatgehalte auf. In den meisten anderen Teilen des Schlafmohns finden sich aber hohe Alkaloidgehalte. Durch Insekten und unsachgemäße Handha- bung bei der Ernte können die Samen mit diesen Opiaten verunreinigt werden. Mohnsamen werden traditionell zur Herstellung von Lebensmitteln wie Backwaren und zur Gewinnung von Öl verwendet. 2018 hatte die EFSA ihre frühere Stellungnahme anhand von Gehaltsdaten für Morphin, Codein, Thebain, Oripavin, Noscapin (α-Narcotin) und Papaverin in Mohnsamen aktualisiert. Dabei hat sie den Wert für die Gruppen-ARfD (akute Referenzdosis) von 10 μg/kg für Morphin und Codein bestätigt. In den meisten Altersgruppen wird dieser Wert bei mittlerer und hoher Exposition überschritten. Um die Verbraucher vor möglichen gesundheitlichen Schäden durch in Mohnsamen vorhandene Opiate zu schützen, legt die Verordnung (EU) 2021/2142 nun erstmals Höchstgehalte für Opiumalkaloide in Mohnsamen und Backwaren, die Mohnsamen enthalten, fest (Tab. 6).

Die Höchstgehalte beziehen sich jeweils auf die Summe des Morphin-Gehaltes und den mit 0,2 multiplizierten Codeingehalt (Umrechnung des Codeingehaltes in Morphinäquivalente). Zu den Backwaren werden auch verzehrfertige herzhafte Happen und Knabbereien aus Mehl gezählt. Damit die Hersteller von Backwaren den neuen Höchstgehalt leichter einhalten können, sollen die Mohnsamenlieferanten ihnen ausreichend Informationen wie insbesondere Analysedaten zur Verfügung stellen. Die neuen Höchstgehalte gelten seit 1. Juli 2022. Mohnsamen und damit hergestellte Backwaren, die vor diesem Datum rechtmäßig in Verkehr gebracht wurden, dürfen bis zum Ablauf ihres Mindesthaltbarkeits- oder Verbrauchsdatums im Verkehr bleiben.

Glykoalkaloide

Bei Glykoalkaloiden handelt es sich um toxische steroidale Glykoside, die in Nachtschattengewächsen wie Kartoffeln, Tomaten und Auberginen vorkommen. Vermutlich fungieren sie als Stressmetabolite oder Phytoalexine, wenn die Pflanze durch Pilze oder Bakte- rien infiziert wird. Die Glykoalkaloid-Gehalte in Tomaten und Auberginen sind vergleichsweise gering. Die für die Lebensmittelsicherheit höchste Bedeutung haben die in Kartoffeln enthaltenen Glykoalkaloide. Die bekanntesten Vertreter sind α-Solanin und α-Chaconin. Sie kommen in den Knollen, Schalen, Blättern und Blüten vor, wobei die Konzentrationen in Abhängigkeit von der Sorte, der Reife und den Umweltfaktoren stark variieren können. Die Glykoalkaloidgehalte der Schalen sind 3-10 mal höher als die der Knollen. Erfahrungsgemäß lassen sich die Gehalte durch geeignete Bedingungen bei Anbau, Ernte und Lagerung gut kontrollieren. So hemmt eine dunkle Lagerung die Solaninbildung bei Kartoffeln. Durch Schälen, Kochen und Braten lassen sich die Glykoalkaloidgehalte in Lebensmitteln deutlich verringern. Bei Kartoffeln nimmt der Gehalt beim Schälen um bis zu 75 Prozent, beim Kochen um bis zu 65 Prozent und beim Frittieren in Öl um bis zu 90 Prozent ab.

Glykoalkaloide können beim Menschen ein brennendes Mundgefühl, Übelkeit, Magen-Darm-Krämpfe, Erbrechen und Durchfall verursachen. Auch wird von Schwindel, Zittern, Benommenheit, Verwirrung, Unruhe, Apathie, Sehstörungen und Herz-Kreislauf-Beschwerden berichtet. In schweren Fällen können Halluzinationen und Lähmungen bis hin zum Tod eintreten. Vergiftungserscheinungen treten bei oraler Aufnahme von 1–5 mg/kg Körpergewicht auf. Dosen von 3–6 mg/ kg Körpergewicht können tödlich sein. Tödliche Vergiftungen beim Menschen durch den Verzehr von Kartoffeln treten allerdings nur selten auf.

In ihrer Stellungnahme vom 11. August 2020 berechneten die EFSA-Fachleute die akute ernährungsbedingte Exposition gegenüber Glykoalkaloiden aus Kartoffeln mithilfe eines probabilistischen Ansatzes unter Berücksichtigung von Verarbeitungsfaktoren für verschiedene Lebensmittel. Den LOAEL-Wert (Lowest Observed Adverse Effect Level) legten sie bei 1 mg/kg Körpergewicht und Tag fest. Wegen der begrenzten Datenlage arbeiteten sie mit MoE (Margin of Exposure)-Werten. Diese offenbaren bei jüngeren Personen gesundheitliche Bedenken bei den höchsten mittleren Expositionen sowie bei allen Verbrauchergruppen im 95. Perzentil. Für Glykoalkaloide aus Tomaten und Auberginen konnte wegen der fehlenden Daten zu den Gehalten und zur Toxikologie keine gesundheitliche Risikobewertung durchgeführt werden. Da für eine vollständige Risikobewertung zu wenige Daten zu den Gehalten und zur Toxikologie vorlagen, hatten die EFSA-Experten unter anderem empfohlen, mehr Gehaltsdaten zu sammeln. Dabei sollten sowohl solche Kartoffelsorten untersucht werden, die sich auf dem Markt befinden, als auch solche, die neu entwickelt werden. Auch die Glykoalkaloidgehalte in Säuglingsnahrung auf Kartoffelbasis, Tomaten, Auberginen und daraus hergestellten Produkten sind von Interesse.

Vor diesem Hintergrund hat die Europäische Kommission eine Monitoring-Empfehlung zum Auftreten von Glykoalkaloiden in Kartoffeln und daraus hergestellten Erzeugnissen vorgelegt. Sie bezieht sich hauptsächlich auf α-Solanin und α-Chaconin. Nach Möglichkeit sollen aber auch die Abbauprodukte β- und γ-Solanin, Chaconin und das Aglykon Solanidin bestimmt werden, vor allem in Verarbeitungserzeugnissen. Liegen die ermittelten Gehalte für die Summe aus α-Solanin und α-Chaconin über 100 mg/kg, so sollen die zuständigen Behörden gemeinsam mit den Herstellern die Ursachen für die Kontamination ausfindig machen.

Chinolizidinalkaloide

Auch bei den Chinolizidinalkaloiden handelt es sich um pflanzliche Sekundärmetabolite, die zur Abwehr von Pathogenen und Fraßfeinden dienen. Chinolizidinalkaloide (engl. quinolizidine alkaloids, QA) werden vor allem von Arten der Pflanzenfamilie der Ginstergewächse (Genisteae) in den grünen Pflanzenteilen aus Lysin gebildet und in allen Teilen der Pflanze einschließlich der Samen gespeichert. Betroffen sind insbesondere Lupinen. In einem ersten Schritt wird das Lysin zunächst in Cadaverin umgewandelt. Dieses stellt den Ausgangsstoff für die Biosynthese aller QA dar. Die zentrale Struktureinheit der QA besteht aus zwei verbundenen 6-Ringen mit einem Stickstoff- atom am Brückenkopf. Die in Lupinen nachgewiesenen QA bestehen aus zwei, drei oder vier Ringen. Die elf wichtigsten Verbindungen aus Lupinen, die für die menschliche und tierische Ernährung eine Rolle spielen, sind Chinolizidin, (-)-Lupinin, (-)-Albin, (-)-Angusti- folin, Tetrahydrorhombifolin, (-)-Spartein, (+)-Isolupanin, (+)-Lupanin, (+)-13-Hydroxylupanin, 13-Angeloyloxylupanin, 13-Trigloyloxylupanin und (-)-Multiflorin. Das Auftreten von QA in Lupinensamen in toxikologisch relevanten Mengen ist problematisch, weil das daraus hergestellte Mehl seit einigen Jahren als Ersatz für Getreidemehl in verschiedenen Lebensmitteln wie Back- und Teigwaren, Knabberartikeln, Milch- und Sojaersatzerzeugnissen, diätetischen Produkten und Soßen verwendet wird.

Beim Menschen können QA aus Lupinen Vergiftungserscheinungen wie Schwindel, Verwirrung, Herzrasen, Übelkeit, Mundtrockenheit und motorische Kontrollverluste auslösen. In schweren Fällen können diese Vergiftungen durch Atemlähmung und Herzstillstand tödlich enden. Gleichwohl ist zur Toxikologie der verschiedenen QA bislang wenig bekannt. Von Spartein und Lupanin weiß man, dass sie im menschlichen Körper rasch aufgenommen und verteilt werden. Ebenso schnell werden sie entweder unverändert oder als oxidierte Metabolite über den Urin wieder ausgeschieden. Als Referenzverbindung dient Spartein. Dieses hemmt beim Menschen den Neurotransmitter Acetylcholin. Bei der akuten Aufnahme von Spartein sind die beobachteten anti-cholinergen Wirkungen und die Steigerung der Herzfrequenz für die Risikocharakterisierung maßgebend.

Die EFSA hat am 5. November 2019 eine Stellungnahme zu den Risiken für die tierische und menschliche Ernährung durch das Vorkommen von QAs in Lebensmitteln und Futtermitteln vorgelegt. Für das akute Expositionsszenario leiteten die Experten einen MoE von 160 μg Spartein/kg Körpergewicht als Referenzwert ab. Für die chronische Exposition konnte kein Referenzwert festgelegt werden. Die höchsten Konzentrationen von Chinolizidinalkaloiden (429 mg/kg) fanden sich in getrockneten Lupinensamen. Aufgrund der begrenzten Datenlage konnte die Exposition nur für wenige Spezialfälle geschätzt werden. Eine abschließende Risikobewertung war nicht möglich. Beim Verzehr von nicht entbitterten Lupinensamen, von entbitterten Lupinensamen mit hohen Chinolizidinalkaloidgehalten und von Fleischimitaten auf Basis von Lupinensaat bestehen jedoch gesundheitliche Risiken. Nach Erkenntnissen der EFSA werden vor allem die Lupinenarten Lupinus albus und Lupinus angustifolius zur Erzeugung von Lebensmitteln genutzt. Von geringerer Bedeutung sind Lupinus luteus und Lupinus mutabilis. Dies könnte sich aber zukünftig ändern. Die QA-Profile in den beiden ersten Lupinenarten sind dieselben, die anderen beiden Arten zeichnen sich durch abweichende QA-Profile aus.

Das BfR hat bereits in seiner Stellungnahme vom 27. März 2017 darauf hingewiesen, dass Lupinensamen je nach ihrer botanischen und geografischen Herkunft unterschiedlich hohe QA-Gehalte aufweisen. Bitterlupinen zeichnen sich aufgrund ihrer höheren QA-Gehalte durch einen bitteren Geschmack aus. Ohne geeignete Vorbehandlung („Entbitterung“) sind diese Samen für den menschlichen Verzehr nicht geeignet. Bei Süßlupinen wurde der QA-Gehalt durch Züchtung reduziert. Herstellern hat das BfR empfohlen, keine bitteren Lupinensamen als Zutaten für Lebensmittel zu verwenden. Verbrauchende sollten solche Samen vorsorglich nicht verzehren.

Da Bitterlupinen resistenter und ertragreicher sind als Süßlupinen, fördert das Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft (BMEL) ein Forschungsprojekt zur Untersuchung des Potenzials der schmalblättrigen Bitterlupine als Eiweißquelle für Lebensmittel. Für die Entwicklung einer schonenden Entbitterung werden verschiedene Membrantechnologien getestet. Um mögliche gesundheitliche Risiken durch Bitterlupinensamen von den Menschen abzuwenden, prüft die Europäische Kommission derzeit gemeinsam mit den Mitgliedstaaten Risikomanagementmaßnahmen zum Auftreten von QA in Lebensmitteln.

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