- Jedes 5. Kind in Deutschland ist von Armut betroffen – statistisch gesehen auch Kinder in Ihrer Klasse.
- Familien, die über wenig Einkommen verfügen, haben meist auch zu wenig Ressourcen für eine gesundheitsförderliche Ernährung.
- Schulen können Armut und Ernährungsarmut nicht auflösen. Sie sind aber ein wichtiges Sicherheitsnetz, um die Folgen zu lindern. Die Schulverpflegung spielt dabei eine große Rolle.
- Armut ist häufig schambehaftet. Eine inklusive Schulentwicklung ist hilfreich, um Stigmatisierung zu vermeiden und armutsbedingte Barrieren abzubauen.
Betroffene Kinder: Auch in Ihrer Klasse?
Der Anteil armutsbetroffener Kinder und Jugendlicher liegt seit Jahren auf hohem Niveau. In Deutschland sind drei Millionen Kinder und Jugendliche unter 18 Jahren armutsgefährdet (21,6 %), das ist mehr als jedes 5. Kind. Stellen Sie sich eine Grundschulklasse mit 21 Kindern vor: Statistisch gesehen sind vier bis fünf dieser Kinder armutsgefährdet. Sie gelten als armutsgefährdet,
- wenn sie in Haushalten mit relativer Einkommensarmut leben, also weniger als 60 Prozent des nationalen Mittels zur Verfügung haben, oder
- wenn ihre Eltern Leistungen nach SGB II beziehen (zum Beispiel Bürgergeld).
Besonders oft betrifft das Kinder von Alleinerziehenden und Familien mit drei und mehr Kindern. Armut ist oft ein dauerhafter Zustand: Zwei Drittel der Kinder und Jugendlichen leben mindestens fünf Jahre und auch wiederkehrend in Armut.
Zu wenig Geld für gesunde Ernährung
Wenig Geld wirkt sich bei fast einem Viertel der armutsgefährdeten Haushalte mit Kindern konkret auf die Ernährungssicherheit aus. Gleichzeitig ist die ernährungsbezogene soziale Teilhabe erschwert: Mit den Kindern ein Eis essen, Freunde zum Essen einladen oder einen Kindergeburtstag feiern, ist den meisten Familien nicht möglich.
Armut und Ernährungsarmut haben für Kinder und Jugendliche messbare Folgen: Sie haben nachweislich schlechtere Gesundheits-, Teilhabe- und Bildungschancen.
- Adipositas: In Deutschland sind fast 6 % aller Kinder und Jugendlichen adipös. Armutsgefährdete Kinder und Jugendliche mit niedrigem Haushaltseinkommen sind jedoch häufiger betroffen. Eine aktuelle Studie zeigt: Ihre Adipositasprävalenz ist mehr als dreimal höher (17 %) als bei Gleichaltrigen aus Familien mit mittlerem (5%) oder hohem (2 %) Einkommen.
- Ernährungsverhalten: Viele Kinder und Jugendliche essen zu selten frisches Obst (44%) und trinken zu häufig zuckerhaltige Erfrischungsgetränke (20%). In Familien mit niedrigem Haushaltseinkommen essen 51 % zu selten Obst, 28 % trinken zu häufig Softdrinks. Das ist mehr als bei Gleichaltrigen mit hohem Einkommen, von denen 37 % zu selten Obst und 11 % zu häufig Softdrinks konsumieren.
- Bewegungsverhalten: Armutsgefährdete Kinder und Jugendliche nehmen seltener an Vereins- oder (kommerziellen) Sportangeboten teil, während sie an freiwilligen Sport-AGs in der Schule ähnlich häufig teilnehmen wie Gleichaltrige der höheren Einkommensgruppen.
Lässt sich (Ernährungs-)Armut erkennen?
Ernährungsarmut resultiert aus Armut. Für beides gibt es viele Anzeichen, die aber nicht unbedingt eindeutig sein müssen, weil Kinder individuelle Kompensationsstrategien entwickeln. Zwar ist die finanzielle Situation der Familie ein wichtiger Indikator, der aber zu kurz greifen kann. Familien können schwierigen Lebenssituationen wie Krankheit, Scheidung oder Tod ausgesetzt sein, so dass die Kinder aus dem Aufmerksamkeitsraster fallen. Ein gutes Familieneinkommen muss dann nicht zwangsläufig auch beim Kind ankommen. Worauf Lehrkräfte unter anderem achten können:
- Wenn Kinder in der Schule morgens häufig gähnen oder zappelig, unruhig oder laut sind, kann das darauf hindeuten, dass sie hungrig sind. Auch wenn sie entweder kein Frühstück in die Schule mitbringen oder ihre Brotdose nur Süßigkeiten oder Abendessensreste vom Vortag enthält, kann das auf (Ernährungs-)Armut hindeuten.
- Wenn Kinder hauptsächlich energiereiche und nährstoffarme Lebensmittel essen, kann das zu einer Unterversorgung mit essenziellen Mikronährstoffen (Vitamine, Mineralstoffe, Spurenelemente) führen. Diese ist meistens nicht durch typische äußere Symptome erkennbar. Auch übergewichtige Kinder können von diesem sogenannten „Hidden Hunger“ betroffen sein.
- Mangelnde Hygiene oder Zahnhygiene, der Jahreszeit nicht angepasste Kleidung, fehlende oder kaputte Kleidungsstücke oder minderwertige Schulmaterialien können weitere Anzeichen sein.
- Auch wenn Kinder nachmittags kaum mobil sind oder keine Zeit haben, weil sie im Haushalt helfen oder auf jüngere Geschwister aufpassen müssen, kann das auf Armut hinweisen. Andere Kinder verhalten sich vielleicht aggressiv oder ablehnend, weil ihnen eine Teilnahme an Angeboten sowieso nicht möglich ist.
Was können Schulen tun?
Armut und Ernährungsunsicherheit sind strukturelle Probleme, für die Schulen nicht verantwortlich sind. Es ist Aufgabe der Politik, die Ursachen hierfür mit einem Bündel an Maßnahmen zu bekämpfen. Fachleute empfehlen unter anderem eine Erhöhung des Regelsatzes beim Bürgergeld und eine beitragsfreie Kita- und Schulverpflegung.
Bei der Bekämpfung von Ernährungsarmut spielen Schulen trotzdem eine große Rolle, indem sie Strukturen für gute Verpflegungsangebote in der Schule schaffen. Denn Schulverpflegung kann sicherstellen, dass Kinder und Jugendliche mindestens eine gesundheitsförderliche Mahlzeit am Tag essen. Je mehr sich die Verspflegungsangebote dabei an ernährungswissenschaftlichen Empfehlungen orientieren, desto besser. Unterstützung bei der Organisation von Schulverpflegung finden Sie beim Bundeszentrum Kita- und Schulverpflegung und bei den Vernetzungsstellen Schulverpflegung der Bundesländer.
Kinder und Jugendliche, deren Eltern soziale Leistungen wie Bürgergeld, Sozialhilfe oder Asylbewerberleistungen, Kinderzuschlag oder Wohngeld erhalten, haben Anspruch auf Leistungen aus dem Bildungs- und Teilhabepaket (BuT). Das BuT übernimmt die tatsächlichen Kosten für das Mittagessen (sowie viele weitere Leistungen). Viele berechtigte Familien kennen das Angebot jedoch nicht oder sind vom bürokratischen Aufwand überfordert. Schulen können sich für eine Inanspruchnahme stark machen.
- Die Vernetzungsstelle Schulverpflegung Niedersachsen hat Materialien entwickelt, die die Antragstellung für ein kostenloses Mittagessen erleichtern, zum Beispiel eine Flyer-Vorlage zur Information der Eltern (Sprachen: Ukrainisch, Russich, Englisch, Farsi, Arabisch, Türkisch).
- Viele Bundesländer und Kommunen halten für Kinder, deren Eltern zwar keinen Anspruch auf BuT-Leistungen haben, aber trotzdem über wenig Einkommen verfügen, Härtefallfonds oder andere Fördermöglichkeiten für das Mittagessen bereit. Erkundigen Sie sich bei Ihrem Schulträger.
Egal, ob morgens zu wenig Zeit oder zu wenig Geld für ein Frühstück zuhause da ist: Mit einem Frühstücksangebot in der Schule erreichen Sie alle Kinder.
Schulen, die ihren Kindern eine halbe Stunde vor Schulbeginn ein Frühstücksbuffet ermöglichen, berichten von ruhigeren, wacheren und konzentrierteren Kindern im Unterricht. “Mit vollem Bauch lernt es sich besser” ist beispielsweise auch der Gedanke hinter dem Frühstücksprojekt „brotZeit“. Hierbei versorgen Seniorinnen und Senioren ehrenamtlich Grundschulkinder mit einem gesunden Frühstück.
In unserem Artikel Frühstücken in der Grundschule lesen Sie, was zu einem gesunden Frühstück gehört und wie Sie positive Essgewohnheiten bei Schülerinnen und Schülern etablieren und festigen.
Das EU-Schulprogramm unterstützt Bildungs- und Betreuungseinrichtungen mit der kostenlosen Lieferung von Obst und Gemüse sowie Milch und Milchprodukten. Fast alle Bundesländer nehmen an dem Programm teil. Weitere Informationen finden Sie beim Bundesministerium für Landwirtschaft, Ernährung und Heimat. Material für das pädagogische Begleitprogramm finden Sie hier.
Mit Trinkwasserspendern können Kinder und Jugendliche unabhängig vom Einkommen ihrer Eltern kostenlos in der Schule Wasser trinken. Informationen finden Sie in der DGE-Broschüre "Trinken in der Schule" (externer Link, 606 KB, 20 Seiten, nicht barrierefreie PDF-Datei).
Schulen: Vermittler von Hilfsangeboten
Schulen haben eine Vielzahl von Aufgaben, bei gleichzeitig knappen personellen und finanziellen Ressourcen. Entlastend kann es sein, sich auf die eigene Vermittlerfunktion zu konzentrieren. So können beispielsweise der Schulträger, der Förderverein oder Sponsoren finanzielle Unterstützung bieten, brauchen aber Ideen und Kontakte, damit die Hilfe ankommt. Dafür sind innerschulische Strukturen wichtig, beispielsweise ein regelmäßiger Austausch zu armutsbedingten Problemlagen bei Teamsitzungen oder Konferenzen.
Stigmatisierung immer vermeiden
Armut ist häufig schambehaftet. Stigmatisierung kann auch unbewusst und ungewollt passieren, wenn etwa offen von den „BuT-Kindern“ die Rede ist oder ein kritischer Blick in die Brotdose fällt, die schon wieder nicht die „richtigen“ Lebensmittel enthält. Vielleicht wundern Sie sich, dass trotz wiederholter Absprache mit den Eltern das Kind kein Obst in die Schule mitbringt, stattdessen aber teure Quetschbeutel mit Fruchtmus? Armutsbetroffene Eltern müssen ihre Kinder oft enttäuschen, das ist nur schwer auszuhalten. Ein glückliches Kind beim Anblick eines bunten Kinderlebensmittels kann vielleicht für Manches entschädigen. Menschen mit wenig Geld darf nicht automatisch unterstellt werden, dass sie sich nicht angemessen ernähren wollen oder können.
Armutssensible Schulentwicklung
Schulen sind für armutsbetroffene Kinder ein Sicherheitsnetz. Eindringlich hat das die Pandemie vor Augen geführt, als für viele Schülerinnen und Schüler wegen der Schulschließungen auch die tägliche Schulmahlzeit wegfiel. Es gehört zur inklusiven Bildung, Barrieren abzubauen – auch armutsbedingte Barrieren. Eine Lösung sehen pädagogische Fachleute in einer armutssensiblen und damit inklusiven Schulentwicklung. Für diese ist zuerst die professionelle Haltung der Lehrkräfte entscheidend, Armut nicht als ein individuelles Verschulden der Familien zu betrachten. Ausgangspunkt ist ein gemeinsames Verständnis zu Fragen wie:
- Wie (und in welchen Schulbereichen) können wir auf unterschiedliche finanzielle Voraussetzungen der Familien reagieren?
- Was bedeutet finanzielle Ungleichheit für unser pädagogisches Handeln, zum Beispiel in der Ernährungsbildung?
- Welche Kultur des Geldsammelns und Geldausgebens pflegen wir an unserer Schule, zum Beispiel bei der Planung von Schulausflügen, Klassenfahrten, Schulfesten?
- Wie erkennen wir armutsbedingte Barrieren und wie können wir sensibel damit umgehen?
Mit dem Index für Inklusion der Aktion Mensch können sich interessierte Schulen auf den Weg machen.