Kommunale Ernährungsstrategien

Für mehr Bio-Regio-Food auf den Äckern, in den Geschäften und auf den Tellern

Frau auf einem Feld zeigt soeben geerntetes Gemüse. © Jakob Lund – stock.adobe.com
  • Gegessen wird immer vor Ort. Für eine gesunde und nachhaltige Ernährung braucht es aber auch ein entsprechendes Angebot in Schulen, Kantinen, Restaurants und auch im Handel.
  • Daher entwickeln mehr und mehr Kommunen und Regionen in Deutschland Ernährungsstrategien.
  • Auch international tut sich einiges: Über 300 engagierte Städte haben sich schon im Urban Milano Food Policy Pact zusammen geschlossen. Denn es gibt viel voneinander zu lernen.
  • Die Erfolgsfaktoren und Vorgehensweisen für die Entwickung und Umsetzung von Ernährungsstrategien sind mittlerweile gut erforscht.
  • Netzwerke wie Ernährungsräte und Bio-Städte können viel dazu beitragen, kommunale Ernährungsstrategien auf den Weg zu bringen.

Warum eigentlich Ernährungsstrategien?

Die gute Nachricht ist: Wir können 10 Milliarden Menschen auf dieser Erde gesund und nachhaltig ernähren. Das klappt nach dem Stand der Wissenschaft aber nur, wenn wir mehr als doppelt so viel Obst und Gemüse und viel mehr Hülsenfrüchte und Nüsse auf unseren Feldern, in den Geschäften und auf unseren Tellern haben. Dazu gehört auch, dass die Tierhaltung an die verfügbaren Flächen und Bedingungen vor Ort angepasst wird. 

Das Ziel ist klar – und das nicht erst seit gestern. An der Praxis fehlt es aber noch. Das sollen Ernährungsstrategien ändern. Immer mehr Kommunen und Bundesländer entwickeln Ziele und Maßnahmen für eine nachhaltige und gleichzeitig gesunde Lebensmittelversorgung vor Ort.

Ein Städteverbund für starke Ernährungsregionen

Aus einer guten Idee wurde mittlerweile eine internationale Bewegung. Über 300 Städte weltweit haben das Mailänder Abkommen, den “Milan Urban Food Policy Pact”, schon unterzeichnet. Damit verpflichten sie sich, Strategien zu entwickeln, die vor Ort ein nachhaltiges, wirtschaftliches und sozialverträgliches Lebensmittelangebot schaffen. Der Aktionsrahmen für die städtische Ernährungspolitik enthält 37 konkrete Maßnahmen in sechs Bereichen.  Er versteht sich als Unterstützung und Werkzeugkoffer für eine erfolgreiche regionale Ernährungspolitik. Mehr auf der Website des Milan Urban Food Policy Pact.

Regionale Ernährungsstrategien in Deutschland

Städte wie Köln, Freiburg und Stuttgart aber auch Bundesländer wie Bremen, Berlin, Hessen, Baden-Württemberg und Niedersachsen haben mittlerweile Ernährungsstrategien. Allein der Modellregionenwettbewerb “Besser Essen in der Region” fördert zehn Projekte, die sich in ihren Regionen für mehr Bio, weniger Lebensmittelverschwendung und die Stärkung der regionalen Wertschöpfungsketten einsetzen. Ein wichtiger Ansatzpunkt ist hier das Angebot in Kantinen, Restaurants und öffentlichen Küchen. 

Eine besondere Herausforderung ist die Beschaffung von regionalen Bio-Produkten in den passenden Qualitäten und Mengen. Auch die Küchenteams sind gefordert. Denn ein saisonal-regional ausgerichteter Speiseplan mit hohem Bio-Anteil und weniger Fleisch kann eine große Umstellung sein. Das braucht Know-how und Schulungen. Mehr und mehr Regionen setzen daher auf Bildungs- und Kompetenzzentren, die Verpflegungsverantwortliche schulen und beraten.

Hier gehts zu den Modellregionen.

Bildungs- und Kompetenzzentren für Verpflegungsverantwortliche

In Berlin wurde schon 2019 die Kantine Zukunft nach dem Modell des Kopenhagener House of Food ins Leben gerufen. Das von der Stadt geförderte Projekt bietet Schulungsprogramme für Küchenteams und gibt Antworten auf Praxisfragen wie zum Beispiel: Welche Speisen mit saisonalen Zutaten sind kantinentauglich? Wie erhöhe ich den Bio-Anteil bei gleichbleibenden Kosten? Und wie motiviere ich meine Mitarbeitenden?

In Freiburg betreibt der Ernährungsrat das Projekt KANNtine und berät Kantinenteams und Großküchen, wie sie einen leichten Zugang zu regionaler Ware erhalten und den Anteil an regionalen und Bio-Lebensmitteln erhöhen können. Dieses Projekt wird im Rahmen des Modellregionenwettbewerbs “Besser essen in der Region" gefördert.

Im April 2024 eröffnete die Landeshauptstadt München das Haus der Kost. Damit will auch München an die Erfolgsgeschichten des House of Food in Kopenhagen und der Kantine Zukunft Berlin anknüpfen, hieß es in der Pressemeldung zur Eröffnung.

Auf der Startseite des Haus der Kost schreibt die Landeshauptstadt München: 

“Beim Thema Nachhaltigkeit wird die Bedeutung von Ernährung oft unterschätzt. Ein Schlüssel ist die Verwendung von regionalen, saisonalen Bio-Lebensmitteln beim Kochen. So wird unser ökologischer Fußabdruck deutlich kleiner. An diesem Ziel arbeiten im Haus der Kost Akteur*innen der Ernährungsbranche und die Stadt München gemeinsam. Das Beratungszentrum begleitet, coacht und berät kostenlos Küchenteams der Gemeinschaftsgastronomie, vernetzt und koordiniert Bio-Initiativen und andere relevante Akteur*innen und wird so zur Drehscheibe der Aktivitäten für eine Ernährungswende.”

Gehört zu den Pionieren: London

London war eine der ersten europäischen Städte, die ihr „foodsystem“ systematisch verbessert haben. The London Food Strategy wurde 2006 auf Initiative des damaligen Bürgermeisters entwickelt und seitdem mehrfach aktualisiert. Das Ziel: Alle Menschen, die in London leben, sollen Zugang zu gesunden, bezahlbaren und nachhaltigen Lebensmitteln bekommen – unabhängig von ihrem Hintergrund und ihren Lebensumständen. Unterstützt wurde er dabei vom London Food Board, einem Beirat, der sich aus unabhängigen Organisationen, Forschenden und Lebensmittel-Fachleuten aus ganz London zusammensetzt. Die London Food Strategy deckt insgesamt sechs Handlungsfelder ab und denkt auch den Lebensmittelhandel mit:

  1. Gutes Essen zu Hause
  2. Gutes Essen kaufen und serviert bekommen
  3. Gutes Essen in öffentlichen Institutionen und Einrichtungen
  4. Gutes Essen für Schwangere und Kinder
  5. Gutes Essen anbauen
  6. Gutes Essen für die Umwelt 

Das besondere an der London Food Strategy: Sie macht deutlich, dass der Wandel zu einem gesunden und nachhaltigen Ernährungssystem nur gemeinsam gelingt. In jedem Kapitel erfahren die Lesenden, wer was dafür tun muss: 

  • Was tut die Bürgermeisterin oder der Bürgermeister?
  • Was müssen Bürgerinnen und Bürger tun?
  • Und was müssen Unternehmen beitragen? 

 

Beispiele für Maßnahmen in London

Seit 13 Jahren evaluiert die Organisation Sustain die Fortschritte bei der Umsetzung der London Food Strategie in neun Handlungsfeldern. Schon heute gibt es in allen Londoner Stadtteilen in Grundschulen kostenfreies Schulessen. Das sind 270.000 Essen täglich. Zwölf Bezirke haben zusätzlich Verpflegungsprogramme für weiterführende Schulen etabliert. In 16 Bezirken fördern die Kommunalverwaltungen gezielt die Eigenproduktion von lokalem Gemüse und Obst durch Zugang zu Flächen und Know-how. Die Kampagne „Good Food Retail“ wiederum unterstützt Supermärkte und kleine Geschäfte, ihr Angebot an gesunden und nachhaltigen Lebensmitteln zu verbessern. Sie wird mittlerweile in elf Stadteilen erfolgreich umgesetzt. Sechs der 33 Londoner Bezirke schneiden in allen neun Handlungsfeldern sehr gut ab. Mehr auf der Website der Organisation.  

Fallbeispiel Belo Horizonte

Die brasilianischen Millionenstadt Belo Horizonte gehört zu den Pionieren im globalen Süden. Dort startete der Bürgermeister Patrus Ananias schon 1993 ein umfassendes Programm für die Verbesserung der Ernährungssicherheit und der regionalen Ernährungsproduktion. Seine Vision: Alle Bürgerinnen und Bürger der Stadt sollen jeden Tag ausreichendes und gesundes Essen bekommen. Das Programm von Belo Horizonte garantierte das Recht auf gesunde Ernährung für Alle. Es zeichnet sich durch seinen umfassenden Ansatz aus. Zu den Elementen dieser Strategie gehören unter anderem:

  • Die zentrale Koordination des gesamten Agrar- und Ernährungs-Programms durch eine eigens gegründete Einheit in der Stadtverwaltung,
  • das Verteilen von Flächen an Kleinbäuerinnen und -bauern im Rahmen des urbanen Agrikultur-Programmes,
  • Orte für die Direktvermarktung von regionalen landwirtschaftlichen Produkten in der ganzen Stadt,
  • kostenfreies Schulessen,
  • 25 preiswerte Produkte auf jedem Markt,
  • öffentliche Kantinen mit gesundem, regionalem Speiseangebot zu günstigen Preisen in den Stadtteilen
  • sowie Bildungsaktivitäten.

Das Belo Horizonte Food Security Programme führte innerhalb von zwölf Jahren zur Senkung der Kindersterblichkeit um 60 Prozent, zur Senkung der Unterernährung bei Kindern unter fünf Jahren um 75 Prozent und zur Steigerung des Obst- und Gemüsekonsums in der Bevölkerung um 25 Prozent. Alle diese Maßnahmen kosteten nur zwei Prozent des städtischen Haushaltes. Im Oktober 2009 wurde das Programm wegen seiner besonders innovativen Gesetzgebung mit dem Future Policy Award des World Future Council ausgezeichnet. 

 

Video: Belo Horizonte- die Stadt, die den Hunger besiegte

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In dem Kurzfilm des World Future Council nimmt die brasilianische Musikerin Sara Abreu die Zuschauerinnen und Zuschauer mit zu den Ursprüngen, Orten und Menschen der Ernährungsstadt Belo Horizonte. Sie wird begleitet von dem ehemaligen Bürgermeister Patros Ananias. Er wurde später Minister für landwirtschaftliche Entwicklung und führte auch auf nationaler Ebene Programme zur Verbesserung der Ernährungsversorgung ein.

Fragen und Antworten zu Ernährungsstrategien


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