Foodsteps Folge 5: Vom Schwein zu Spirulina – Algen vom Bauernhof
“Ich habe selber das Gefühl, dass meine Geschichte so gerne erzählt wird, weil das so ein bisschen vom Saulus zum Paulus ist." (Ulrich Averberg)
Sebastian H. Schroeder:
Hallo, Sebastian hier. Hand aufs Herz. Woran denkst du, wenn du an einen konventionellen Schweinemastbetrieb denkst? Ich für mich kann sagen, ich habe nicht an einen Landwirt gedacht, der mit einem wirklich innovativen Produkt versucht, seinen Hof in eine neue Richtung zu lenken.
Ulrich Averberg:
Ich habe selber das Gefühl, dass meine Geschichte so gerne erzählt wird, weil das so ein bisschen vom Saulus zum Paulus ist.
Sebastian H. Schroeder:
Mein heutiger Gastgeber hat als einer der Ersten einen völlig neuen Weg eingeschlagen. Und er weiß, wie stereotyp seine Geschichte klingt.
Ulrich Averberg:
Also, der böse Schweinemäster hat jetzt die Erleuchtung und weiß, dass er mit den veganen Algen die Zukunft gestalten kann.
Sebastian H. Schroeder:
Ulrich Averberg hat sich vom traditionellen Tierhalter zu einem Pionier der deutschen Algenproduktion gewandelt. Ich bin auf einer Reise, um herauszufinden, wie es in Deutschland so ums Essen steht. Und das hier möchte ich mir dann doch gerne persönlich anschauen. Denn hinter dieser Geschichte steckt mehr als nur ein persönliches Umdenken. Für Ulrich Averberg geht es um die Frage, wie wir in Zukunft zehn Milliarden Menschen ernähren werden.
Ulrich Averberg:
Und es ist Teil unseres Berufes, die Ernährung für diese wachsende Weltbevölkerung sicherzustellen.
Sebastian H. Schroeder:
Diese Geschichte zeigt mir, wie Innovation entstehen kann. Auf einem Hof, wo ein Mensch bereit ist, vieles aufs Spiel zu setzen.
Ulrich Averberg:
Also, ich habe das nicht fürs Klima gemacht. Ich bin passionierter Landwirt. Die Arbeit, die ja so viele Facetten hat … Dann ist mir dieses Thema der Algen über den Weg gelaufen und das hat mich angefixt.
Sebastian H. Schroeder:
Und mich auch. Mein Name ist Sebastian H. Schroeder und du hörst Foodsteps: Nachhaltigkeitsstorys aus dem Bundeszentrum für Ernährung. Produziert von Subtext Stories, Folge 5: Vom Schwein zu Spirulina.
Es ist recht früh am Vormittag, als ich auf den Hof von Ulrich Averberg fahre. Dennoch kommt er mir nicht aus dem Stall, sondern aus seinem Wohnhaus entgegen. Um die Schweine hatte er sich schon vor Stunden gekümmert.
Ich stehe auf einem typisch münsterländischen Hof. Vor mir liegen große Backsteingebäude mit Spitzdach. Im Hintergrund ragt ein Getreidesilo empor, dazwischen ein riesiger gepflasterter Hof mit Bäumen, die alles überragen. Traumhaft schön, ruhig und überhaupt nicht so, wie ich mir einen Schweinemastbetrieb vorgestellt hätte. Kein Durcheinander, kein Gestank. Hier hat alles seinen Platz.
Ulrich Averberg:
Wir haben also einen normalen Familienbetrieb mit den Altgebäuden. Meine Frau und ich haben dann hier neu gebaut damals. Und so ist es eigentlich ein schönes Wohnen, ein angenehmes Wohnen. Die Kinder können laufen. Alles gut, wenn nicht gerade ein Podcast-Team da ist. Da haben die Hausverbot. Die müssen zur Oma heute.
Sebastian H. Schroeder:
Ja, weil hinten steht auch ein Fußballtor.
Ulrich Averberg:
Zwei.
Sebastian H. Schroeder:
Zwei? Kommt dann die Mannschaft zum Trainieren auch her?
Ulrich Averberg:
Nein, nein. Wir haben schon einen eigenen Fußballplatz.
Hereinspaziert.
Sebastian H. Schroeder:
Uli ist so, wie man sich einen traditionellen Landwirt vorstellt. Direkt, kernig, hat eine Schieberkappe auf und einen Sinn für trockenen Humor. Und doch ist er in gewisser Weise völlig anders. Uli ist aktuell in Elternzeit. Und damit wir das Interview nicht auf leeren Magen führen müssen, bietet er mir vor der Aufnahme auch erst einmal etwas zu essen an. Spiegelei mit Algenbrot.
Ulrich Averberg:
Alles selbst gemacht vom eigenen Schwein. Und ja, den Schinken machen wir ja noch selber. Darf ich so aufladen hier?
Sebastian H. Schroeder:
Dankeschön. Den Hof führt er im Nebenerwerb. Aus verschiedenen Gründen.
Ulrich Averberg:
Es ist keine hundert Jahre her, da hatten sie hier drei Knechte und vier Mägde oder so. Ich kann es nicht genau sagen, wie viele. Die hatten, ich weiß nicht, zehn Pferde oder so. Heute kann ich drei Trecker auf einmal fahren, ich alleine. Weil die so untereinander kommunizieren, dass nur einer auf dem Trecker sitzen muss und die zwei anderen fahren von alleine hinterher und machen immer das Gleiche, was ich denen vormache.
Sebastian H. Schroeder:
So eine technische Entwicklung ist gut, sagt er. Er würde dem Alten nicht hinterher trauern. Einher damit geht aber auch, dass er alleine von seinem Hof eben auch nicht mehr leben kann.
Ulrich Averberg:
So, und dann ist die Frage, wie bringe ich meine Zeit, die ich habe, vernünftig unter? Du hast natürlich die Möglichkeit, ein ganz großes Rad zu drehen und dann ganz viel Landwirtschaft in Riesenstil zu machen. Dafür gibt es andere, brauchst du Kapital, brauchst Boden. Aber dann bist du in so einem Rad drin und machst das speziell. Und für mich, ich habe gerne Abwechslung bei meinem Tun und mache gerne unterschiedliche Sachen. Und deshalb war ich auch vorher als Berater unterwegs.
Sebastian H. Schroeder:
Dazu hat er seine konventionelle Schweinezucht und circa 40 Hektar Land, die er mit Raps und Getreide bestellt. Seine Frau geht Vollzeit als Lehrerin arbeiten und er kümmert sich nebenher um die drei Kinder. Jetzt könnte man meinen, da läuft alles so in seinen Bahnen. Aber so ist es nicht. Denn er hat gemerkt, um ihn herum, da ändert sich was.
Ulrich Averberg:
Jetzt ist nach meiner Wahrnehmung eine Veränderung in der Gesellschaft. Wir müssen immer mehr Richtung Tierwohl, weil es gesellschaftlich so gewollt ist. Da stößt aber unser Betrieb zum Beispiel an seine Grenzen. Deshalb war für mich klar, für unseren Betrieb ist die Entwicklung, wie wir sie in den letzten sechs, sieben Jahrzehnten gemacht haben – das heißt tierische Veredelung auf Basis unseres Ackerbaus – ist ein Auslaufmodell. Der Überzeugung war ich.
Sebastian H. Schroeder:
Und deswegen hat er angefangen, sich umzuschauen, was man eben sonst noch mit so einem Hof alles machen kann. Denn er spürt auch eine Verantwortung für seine Kinder.
Ulrich Averberg:
Oder wir sind nur die Verwalter des Eigentums unserer Kinder. Und ich habe das Glück gehabt, so eine schöne Hofstelle zu erben.
Sebastian H. Schroeder:
Und da sieht er es eben auch als seine Pflicht an, diese Hofstelle in einem so guten Zustand in die nächste Generation zu übergeben, dass sie weiter existieren kann. Nur wie, war lange seine Frage. Bis er – ich mache das jetzt mal ganz dramatisch auf – an einem schicksalhaften Tag bei einer Veranstaltung saß und das erste Mal von Spirulina-Algen gehört hat.
Ulrich Averberg:
Ja, ich habe ja halt diese Beobachtung der Tierhaltung und des Tierwohls und diese Sachen alle mitgekriegt. Und für mich war das dann immer schon schwierig mit der Tierhaltung. Wie soll es weitergehen? Und da habe ich halt auf diesem Vortrag von diesen Algen gehört. Und das hat mich total angefixt, weil das eine interessante Produktion ist, sauber im Gewächshaus, kontrollierte Bedingungen, du kannst alles steuern. Und es gibt in den Großstädten ein großes Potenzial an jungen, aufgeklärten Akademikern, die auf solche Sachen warten und die gerne kaufen möchten.
Das war so der Grundtenor in diesem Vortrag und das hat mich, wie gesagt, angefixt und ich war dann irgendwann zu Hause. Unsere beiden Jüngsten waren noch beide so, dass sie sehr klein waren, und dass Judith auch immer genug Arbeit damit hatte. Und ich musste noch in den Stall auch abends und so weiter. Und dann war es auch spät geworden und dann haben wir uns im Bett getroffen. Und dann habe ich sie so angestoßen, so leicht: „Bist du noch wach?“ „Ja, wieso? Was hast du denn?“ „Ja, muss ich dir erzählen.“
Und dann habe ich ihr die Story erzählt. Und dann hat sie gesagt, das hört sich interessant an. Und „hört sich interessant an“ bei meiner Frau bedeutet, jetzt muss auch was werden. Und dann habe ich gefragt, dann gucken wir beiden uns das mal an? Und dann war das klar. Und dann haben wir zwei Wochen später die Kinder bei meiner Mutter geparkt. Keiner wusste, wo wir hinfahren. Wir beiden wollen uns mal was angucken. Und meine Mutter fragt dann auch nicht. Und wir haben es auch keinem gesagt. Und dann haben wir uns so eine Altenanlage angeguckt. Und haben danach keine Angst gehabt, dass uns das überfrachten würde. Weil, meine Frau hat Chemie auf Lehramt studiert, kommt auch vom Bauernhof. Und dann musste man anfangen, dieses Projekt umzusetzen.
Und dann sprichst du erst mal mit einem Steuerberater. Der hat auch noch nie was von gehört. Und dann mit der Bank. Die hat auch noch nichts von gehört. Dann schlört man die alle zu so einer Anlage hin und zeigt denen das. Und so richtig ist der Markt dann auch nicht zu schätzen. Und letzten Endes haben wir da so ein Gemeinschaftsprojekt von gemacht. Gut, bezahlen müssen wir das Ding alleine. Aber wir haben mit unseren beiden Hausbanken überlegt, wie können wir das machen, wohl wissend, dass das Ding auch nicht funktionieren kann und wir damit eine halbe Million Fehlinvestitionen getätigt hätten.
Und so haben wir das dann aufgebaut. Und mit dem Hintergrund, dass wir beide ja auch Arbeitnehmer sind beziehungsweise waren – ich bin ja in Beurlaubung – sind wir dann dieses Abenteuer, will ich es mal nennen, eingegangen.
Sebastian H. Schroeder:
Und von diesem Moment an hat es dann fast zwei Jahre gedauert, bis die erste Alge ihren Weg nach Ahlen auf Ulis Hof gefunden hat. Wie es halt so ist in Deutschland. Finanzierung klären, Bauantrag stellen und so weiter und so fort. Im Frühjahr 2020 aber war die Anlage dann endlich fertig.
Ulrich Averberg:
Und da haben wir angefangen. Wie gesagt, wir waren uns eigentlich sicher, dass wir das produktionstechnisch ganz gut hinkriegen. Und dann musst du machen. Im Nachhinein, muss ich ja sagen, hatten wir ja das Glück, dass dann ja die Ausgangssperren kamen wegen Corona und du nichts machen durftest. Kein Mensch durfte ja arbeiten. Die saßen ja alle zu Hause und so weiter. Aber wir durften arbeiten. Ich arbeite sehr gerne und dann haben wir damit angefangen. Und dann fing es an, wir haben am 17. April diese ersten Algen geholt und damit das erste Becken beimpft.
Und wir hatten so ein super Wetter da. Und das war ja so ein heißer Frühling. Das waren ja dann auch immer die Nachrichten. Das war für die Algen super. Wir hatten jeden Tag Sonne, keine Wolken. Die sind gewachsen. Und dann ratzfatz hatten wir fünf Becken voll. Und hätten da ernten müssen. Aber diese blöde Erntemaschine kam nicht. Was machen wir jetzt? Wir wollten eigentlich mit einem halben Gewächshaus anfangen, damit wir die Arbeitsabläufe lernen und so weiter; dass man sich da vorsichtig reinfindet. Dann haben wir die anderen fünf Becken vollgemacht. Und die waren Mitte Mai dann auch voll. Und dann waren die auch Mitte Mai erntereif. Und dann kam diese Erntemaschine. Und dann haben wir angefangen zu ernten.
Sebastian H. Schroeder:
Und dann ging es drunter und drüber. Denn nur weil man eine Erntemaschine besitzt, heißt es ja nicht, dass man auch all die anderen Gerätschaften hat, die man braucht, um ein neues Produkt das erste Mal quasi für die Verbraucher*innen fertig zu produzieren. Es fehlte an allen Ecken und Enden an Material.
Ulrich Averberg:
Und dann mussten wir es trocken kriegen. Und dann hatten wir gar nicht die Backbleche, wie wir sie jetzt hatten und alles. Es fehlte alles gänzlich. Das ist gewachsen. Du konntest gar nicht gegen ernten, so ungefähr. Und dann hat irgendwann Judith gesagt: „Uli, wir müssen auf dem Boden trocknen.“ Wir können doch nicht auf den Boden trocknen. Dann haben wir aber eine Möglichkeit gefunden.
Sebastian H. Schroeder:
Und dann ging das eben doch. Die Produktion ging also besser los als erwartet. Im Sommer lag der fünfzig Meter lange Gang des Gewächshauses voller Algen, die trockneten. Es gab da nur einen Haken.
Ulrich Averberg:
Dann haben wir gemerkt, das ist ja jetzt nicht so, dass die hier jeden Tag am Hoftor stehen und fragen, darf ich eine Tonne Algen bei dir kaufen und wie viel Geld möchtest du denn dafür haben? Das war ja nicht. Man muss dann in aktiven Vertrieb rein und das aktiv auch betreiben. Und das zeigte sich dann schon ein bisschen als Aufgabe.
Sebastian H. Schroeder:
Eine Aufgabe, die vor allem völlig neu für ihn war. Denn die Landwirtschaft ist ja an und für sich eine sehr arbeitsteilige Wirtschaft. Jeder und jede macht das, was er oder sie am besten kann. Die Landwirte betreuen die Kühe und melken sie. Die Molkereibetriebe füllen die Milch ab und machen Sahne daraus. Die Supermärkte verkaufen die Produkte dann. So ist das auch bei vielen anderen landwirtschaftlichen Erzeugnissen.
Nur Algen kannte eben bis dahin keiner. Daher gab es auch kein Vertriebsnetz. Uli hatte sich in der Gründerzeit daher mit einigen anderen Landwirten zusammengetan, die ebenfalls bereit waren, dieses Wagnis einzugehen. Gemeinsam gründeten sie die Deutsche Algengenossenschaft, um Ressourcen zu bündeln und sich gegenüber dem Markt breiter aufstellen zu können.
Ulrich Averberg:
Wenn ich nur alleine produzieren wollte, wird die Käuferschicht nie groß genug werden. Und dann wird es nie so sein, dass der Point of Sale, also die Vermarktungsketten, da Interesse dran haben. Und deshalb brauche ich ja Gleichgesinnte, die auch Algen produzieren und mit am Markt auftreten.
Sebastian H. Schroeder:
Und das ist bis heute so ein bisschen das Problem an der ganzen Sache. Die Bekanntheit fehlt. Keine Warteschlangen. Kein roter Teppich vor dem Supermarkt. Auch wenn das vielleicht ein bisschen polemisch ist.
Ulrich Averberg:
Ich sage immer, ich habe Rückenschmerzen von dem Schulterklopfen. Weil alle es so toll finden. Aber Portemonnaie hat noch keiner aufgemacht und eine Tonne Algen gekauft. Also, diese Lippenbekenntnisse, das ärgert einen schon manchmal.
Sebastian H. Schroeder:
Algen gelten bis jetzt gemeinhin halt eher als die lästige Riesenspaghetti, die den Strand im Sommerurlaub dreckig macht und nicht als Proteinquelle der Zukunft, die im besten Fall jeder täglich zu sich nehmen sollte. Und ehrlich gesagt, auch bei mir regt sich bis jetzt noch keine Geschmacksknospe in meinem Mund bei dem Gedanken an Algen. Daher war es an der Zeit, dass wir uns mal anschauen, worüber wir nun schon so lange gesprochen hatten. Ich wollte das Gewächshaus sehen und vor allem die Algen mal testen.
Ulrich Averberg:
Ja, man merkt sofort, draußen ist es kalt und windig. Hier drin ist es windstill. Es ist auch ein bisschen warm. Die Sonne war ja heute Morgen auch schon ein bisschen da. Das heißt, es wärmt sich dann auch sofort auf, auch im tiefsten Winter. Wenn wir also hier, wird es richtig kalt, wenn wir Ostwind haben. Und dann haben wir klares Wetter, dann wird es nachts mal zehn Grad minus oder so. Und an diesen Tagen hat die Sonne dann auch relativ viel Kraft und wärmt dann dieses Gewächshaus auch über Tag schon wieder angenehm auf, so auf 15 Grad. Also, das ist dann hier drin im Winter sehr angenehm, wenn die Sonne scheint. Im Sommer ist es sehr stressig, wenn die Sonne scheint, aber das soll ja dann auch.
Sebastian H. Schroeder:
Wir stehen jetzt in einem riesigen Glashaus. In der Mitte verläuft ein ungefähr vier Meter breiter Gang, fünfzig Meter lang bis ans andere Ende. Links und rechts davon gehen insgesamt zehn große Becken ab. In den Becken schimmert es intensiv grün und ein bisschen zähflüssig. Ab und zu fährt ein blubberndes Gerät durch die Becken und wirbelt alles einmal durch.
Ulrich Averberg:
Das sieht dann so aus, als wenn da so Rahmspinat runterkommt. So sieht das aus. Und so ist auch die Konsistenz. Und mit dieser Stammmasse haben wir angeimpft und dann teilen sich diese Algen. Die Spirulina ist ein Cyanobakterium, ein Photosynthese betreibendes Bakterium. Dann teilen die sich wieder. Und seitdem – 2020, haben wir das angesetzt – läuft das so.
Sebastian H. Schroeder:
Das heißt, es ist immer so, wie es jetzt ist, und Sie schöpfen in der Zeit was ab und dann bildet es sich wieder neu.
Ulrich Averberg:
Genau. Wir dünnen einfach ein bisschen aus. Das ist ein bisschen wie Spitzen schneiden.
Sebastian H. Schroeder:
Die Algen brauchen also Sonne, um Photosynthese zu betreiben, damit man dann regelmäßig Spitzen schneiden kann. Je intensiver die Sonne ist, desto besser wachsen die Algen. Und desto öfter kann man dann auch ernten.
Ulrich Averberg:
Wir ernten nicht so wie mit einem Mähdrescher, dass man jetzt ein ganzes Jahr darauf sich vorbereitet und dann den einen Tag hat, wo man dann die Ernte vom Feld holt. Sondern wir haben hier kontinuierlich … wir müssen aufpassen, dass die Algen nicht zu viel werden, nicht zu wenig werden. Also wir steuern auch durch die Ernte so ein bisschen die Wachstumsbedingungen. Deshalb fängt das irgendwann im März, April im Frühjahr an und hat seinen Höhepunkt im Juni, Juli. Also da sind die Tage am längsten, da haben wir auch die intensivste Sonne. Die intensivste Sonne kommt ja dann im Prinzip noch im Juli, dass wir dann mit der stärksten Sonnenkraft am meisten ernten.
Sebastian H. Schroeder:
Und wie oft ist das? Ist das einmal am Tag, ist das einmal die Woche, zwei, dreimal die Woche?
Ulrich Averberg:
Wenn wir im Sommer richtig gute Bedingungen haben, dann können wir im Prinzip die Maschine laufen lassen.
Sebastian H. Schroeder
Und das Ernten funktioniert dann folgendermaßen. Hochkomplex, wie Uli mir das hier mit seiner trockenen Art erklärt.
Ulrich Averberg:
Im Prinzip brauche ich nur vorne zwei Schalter anmachen und den Computer passend starten und dann gehe ich wieder raus.
Sebastian H. Schroeder:
Okay, also das heißt, die Aufenthaltsdauer hier auch im Sommer ist relativ kurz für den Moment. Wie geht’s dann weiter?
Ulrich Averberg:
Nein, das ist relativ einfach. Sie müssen natürlich gucken, wie ist der Bestand, wie viel Dünger braucht er, ist er gesund? Solche Dinge sind so die Tagesarbeit. Und die Ernte läuft eigentlich immer über Nacht, weil wir dann frühmorgens die Ernte verarbeiten und dann die Sonne des Tages auch nutzen können, um schon mal einen Großteil der Ware zu trocknen.
Sebastian H. Schroeder:
Das funktioniert so: Über Schläuche wird das Algenwasser aus dem Becken in eine Filteranlage geleitet. Dort werden die Algen dann auf eine Art Förderband gepumpt. Das sieht so aus wie so ein schräg stehendes Gepäcktransportband am Flughafen. Das Transportband ist allerdings durchlässig, wie ein Sieb. Die großen Algen bleiben darauf kleben, die kleinen fallen mit dem Wasser durch und werden zurück ins Becken geleitet. Das Transportband ist also ein Filter, der sich weiterbewegen kann.
Ulrich Averberg:
Das wird dann hier abgestriffen, als wenn man wie einen Quark zu Hause angerührt hat oder einen Pudding und geht dann da mit einem Teigschaber durch. Und das wird dann hier quasi abgeschabt, läuft dann über diese Kühlplatte, wird etwas runtergekühlt, wird dann hier gesammelt. Und morgens ist es dann soweit, dass wir diesen Erntewagen hier rüberfahren und dann mit der Pumpe durch diese Löcher aus Backblech pumpen.
Sebastian H. Schroeder:
Okay, das heißt, hier wird ein Backblech draufgelegt. So eine Pumpe, das sieht aus im Endeffekt wie so eine LED-Röhre mit Löchern drin.
Ulrich Averberg:
Wir sagen Spaghetti-Maschine dazu, weil da so Fäden rauskommen. Das war ganz lustig: Ich hatte letzte Woche Italiener hier, die sich dafür interessierten und bei Spaghetti mussten die dann auch lachen.
Sebastian H. Schroeder:
Und die Bleche schieben Sie dann immer weiter, quasi bis die voll sind?
Ulrich Averberg:
Ja, das ist alles Handarbeit. Und das ist dann auch die Arbeit, die man hat. Also erstmal die frische Ware auf die Backbleche zu bringen.
Sebastian H. Schroeder:
Von diesen Backblechen hat er inzwischen 400 Stück auf Rollwagen, wie beim Bäcker. Die kann er – anders als in den ersten Monaten – nun auch in einen Trockenschrank stellen, damit die Algen schneller die Feuchtigkeit verlieren.
Ulrich Averberg:
Wenn wir 100 Liter trocknen, bleibt nicht 15 Kilo über, so ungefähr.
Sebastian H. Schroeder:
Es geht also ganz schön viel verloren. Daher haben die Algen im Verhältnis zum Gewicht auch ihren Preis. Neunzig Gramm Spirulina-Pulver kosten knapp 19 Euro. Und dieser Preis ist mit ein großes Problem für Uli. Denn aus China kommen viele Spirulina-Algen für einen Bruchteil des Preises, die als Bio beworben werden, aber nach seiner Aussage nicht kontrolliert angebaut werden.
Aber nun ist erstmal Zeit, endlich zu probieren. Nützt ja alles nichts. Hier sehen wir jetzt das Trockenhaus.
Ulrich Averberg:
Und hier können Sie jetzt probieren.
Sebastian H. Schroeder:
Wunderbar. Einfach so?
Ulrich Averberg:
Ja, sicher.
Sebastian H. Schroeder:
Lecker. Ich habe mit nichts gerechnet. Ich konnte mir keine Vorstellung machen, wie es schmeckt. Ich würde sagen, das würde auch als Cracker durchgehen.
Ulrich Averberg:
Das sagen viele, ja. Ist dann aber etwas teuer, wenn so eine Chips-Tüte auf einmal dreißig Euro kostet.
Sebastian H. Schroeder:
Wie viel esse ich jetzt hier gerade, so einen Streifen?
Ulrich Averberg:
Ich habe ihn nicht gewogen.
Sebastian H. Schroeder:
Man sagt ja, als Nahrungsergänzungsmittel drei Gramm am Tag. Habe ich die jetzt schon gegessen?
Ulrich Averberg:
Nein.
Sebastian H. Schroeder:
Das ist mehr, ja?
Ja, das wäre mehr und gut zu wissen, denn dann habe ich noch so ein bisschen geknabbert, bis ich zumindest gefühlt bei drei Gramm war. Das war lecker, sehr lecker sogar. Aber zurück zum warmen Küchentisch. Denn mir war wichtig zu verstehen, was Uli in den Algen gesehen hat für die Zukunft seines Hofs im Verhältnis zu den Schweinen. Insbesondere, weil er ja sicher wusste, dass der Start bei so schwierigen Marktbedingungen sicher nicht einfach wird.
Ulrich Averberg:
Wir müssen versuchen, wie wir es seit Jahrtausenden machen, die Natur so zu nutzen, wie wir es in der Landwirtschaft machen. Durch Züchtung und Heranziehen unter definierten optimalen Bedingungen einen Mehrwert zu schaffen. Und das ist der Versuch, den wir hier mit den Algen auch machen. Jetzt auf einem anderen Bereich, einem neuen Bereich. Aber dennoch haben wir ja die alte Produktion – in Anführungsstrichen – immer noch hier auf dem Betrieb; die wir auch brauchen für die Versorgung mit Grundnahrungsmitteln.
Aber wir können uns weiterentwickeln und wer weiß, was wir aus den Algen noch finden. Die Forschung fängt ja gerade erst an. Also in den 70er Jahren hat die Weltgesundheitsorganisation die Spirulina ja schon mal entdeckt, um damit Mangelernährung in Schwellenländern zu bekämpfen. Es gibt verschiedene Entwicklungshilfeprojekte, die das heute auch machen. Hilfe zur Selbsthilfe, Kolumbien, Kenia. Marokko baut sich jetzt noch eine auf. Und die ziehen die Spirulina vor. Und du hast ja sechzig Prozent Eiweiß, alle essentiellen Aminosäuren. Du unterstützt das Immunsystem, hast eine antivirale Wirkung, wirkt auf die Darmgesundheit. Und was weiß ich, was da alles Gutes bei ist.
Und wenn es einfach so ein hochwertiger Baustein der Ernährung ist und es ist die Pflanze auf diesem Planeten, die den höchsten Eiweißgehalt hat ... Also wenn du in der Äquatornähe bist und optimal ernten kannst, hast du bis 70 Prozent Eiweiß sogar. Hier in unseren Breitengraden bist du dann so bei 60 Prozent Eiweiß. Fleisch hat 20 oder so, eine Bohne hat 25. Dann ist Schluss. Und wir haben halt 60. Und das sind ja ganz tolle Eigenschaften, die du halt bei unserem Weizen jetzt nicht hast.
Sebastian H. Schroeder:
Ja, man merkt, Uli ist von seinen Algen überzeugt. Und seine Begeisterung ist tatsächlich wirklich ansteckend. Also mich hat er damit. Aber vor allem auch wegen des Geschmacks. Das ist mir fast wichtiger gewesen. Die Alge hat also offenbar auf verschiedenen Ebenen wirklich Potenzial. Für den genauen Gesundheitswert ist noch ein bisschen mehr Forschung notwendig. In Deutschland ist sie aktuell nur als Nahrungsergänzungsmittel auf dem Markt. Aber klar, ein hoher Proteinanteil, da denkt man an mehr. An Futtermittel für die Tierproduktion vielleicht. Oder eben auch an künftige Produktpaletten für Menschen.
Was willst du einem jungen Landwirt raten? Was soll er tun?
Ulrich Averberg:
Das kann ich nicht beantworten. Boah.
Also erstmal … das ist aber ganz schwer. Also, was Judith manchmal mitbringt aus der Schule ist, dass bei der Berufswahl die jungen Leute so stark aufs Gehalt gucken. Und ich glaube, das funktioniert nicht. Also wenn ich mich aufs Geld fokussiere, dann gehe ich einen falschen Weg. Ich kann auch nicht mein ganzes Leben lang ehrenamtlich durch die Gegend laufen und damit nichts verdienen wollen. Aber ich glaube, der Grundansatz ist erstmal, du musst das machen, wo du … – na ja, Spaß wird so überbewertet. Aber was dir liegt und was deine Fähigkeiten sind. Wir haben ja eine Renaissance dieser grünen Berufe und wenn man da sein Heil drin sieht – in Landwirtschaft, in Ackerbau, in Neuausrichtung des Ackerbaus oder in der Umgestaltung der Tierhaltung – dann glaube ich, sollte man das durchaus machen. Ob man das dann vierzig Jahre macht, ist eine ganz andere Frage. Oder ob man dann den Betrieb hinterher in eine Kooperation einbringt oder so. Aber erstmal muss ich das tun, was mir liegt und wo ich auch Freude dran habe.
Sebastian H. Schroeder:
Was habe ich also heute gelernt? Dass Veränderung möglich ist? Dass Saulus zu Paulus nicht nur eine biblische Geschichte ist, sondern auch eine sehr münsterländische? Ich habe auf jeden Fall gelernt, dass Innovation nicht romantisch ist. Dass auf die Euphorie der Entdeckung die Ernüchterung des Alltags folgt. Rückenschmerzen vom Schulterklopfen, keine Warteschlangen im Hoftor. Der Markt, der noch nicht da ist, wo die Vision schon längst angekommen ist.
Uli hat mir gezeigt, dass Pionierarbeit auch bedeutet, allein voranzugehen, ohne zu wissen, ob andere folgen. Eine halbe Million Euro investieren in etwas, das es so noch nicht gibt. Und trotzdem sagen, wenn ich das nicht mache, …
Ulrich Averberg:
… dann wäre das Leben auch viel langweiliger.
Sebastian H. Schroeder:
Vielleicht ist das ja sogar die wichtigste Lektion. Es braucht Menschen, die bereit sind, das Langweilige zu verlassen. Die nicht warten, bis die Lösung perfekt ist, sondern anfangen, sie zu erschaffen. Nicht für das Klima, vielleicht nicht für die Moral, sondern aus Leidenschaft. Und was kann ich selbst anders machen? Denn die Herausforderung, der wir gegenüberstehen, global gedacht, ist riesig.
Ulrich Averberg:
Die neue Herausforderung heißt 2050 zehn Milliarden. Und es ist Teil unseres Berufes, die Ernährung für diese wachsende Weltbevölkerung sicherzustellen.
Sebastian H. Schroeder:
Ob Spirulina Algen die Antwort sind? Ich weiß es nicht. Ich glaube, die Antwort liegt nicht in den Algen. Sie liegt in Menschen wie Ulrich Averberg. Menschen, die nicht nur Probleme sehen, sondern Lösungen suchen. Die nicht warten, bis jemand anderes den ersten Schritt macht. Am Ende steht heute für mich keine eindeutige Antwort. Vielmehr ist es eine Frage. Sind wir bereit, anzufangen?
Beim nächsten Mal bin ich in Münster bei einer Landwirtin, die Ziegenkäse nach französischer Art produziert.
Sabine Jürß:
Meine Käserei duftet fein nach Milchsäure. Wenn du richtig schnüffelst und riechst, riechst du leichte Milchsäure hier.
Sebastian H. Schroeder:
Sie ist davon überzeugt, dass gute Produkte nur mit absoluter Hingabe entstehen und es dafür Menschen braucht, die zusammenarbeiten, anstatt sich gegenseitig aufzuhalten.
Sabine Jürß:
Ich bin ein Mensch, der produziert Käse. Ich will gerne viel Käse produzieren. Leute, die Papier produzieren, wollen jedes Jahr mehr Papier produzieren. Das ist diesem Arbeitsprozess immanent.
Sebastian H. Schroeder:
Das und mehr nächstes Mal bei Foodsteps: Nachhaltigkeitsstorys aus dem Bundeszentrum für Ernährung. Produziert von Subtext Stories. Ein großer Dank geht heute an Ulrich Averberg. Mitgewirkt an dieser Folge haben vom Bundeszentrum für Ernährung Bettina Heuke sowie Gabriela Freitag-Ziegler, Claudia Eck und Lars Winterberg. Mein Name ist Sebastian H. Schroeder und ich freue mich schon auf das nächste Mal.
