Foodsteps Folge 4: Die Erdbeer-Vorhersage
“Das ist ja was, was unsere Nase normalerweise nicht leisten muss. Eine Vorhersage zu machen, ob das am nächsten Tag noch gut ist, ist eigentlich nichts, was die Evolution uns antrainiert hat." (Prof. Andreas Schütze)
Sebastian H. Schroeder
Hi, Sebastian hier. Kennst du das? Du findest beim Kochen zufällig so eine Frischhaltedose in deinem Kühlschrank, schaust sie dir an, sieht eigentlich ganz gut aus, riechst mal dran und fragst dich: ach, kann ich das noch essen oder wäre das vielleicht morgen auch noch okay? Weil, eigentlich wollte ich ja jetzt gerade was ganz anderes kochen. Ich habe das ständig und ich würde gerne Lösungen für dieses Problem finden. Und aus diesem Grund bin ich heute in Saarbrücken.
Prof. Andreas Schütze
Das ist ja was, was unsere Nase normalerweise nicht leisten muss. Eine Vorhersage zu machen, ob das am nächsten Tag noch gut ist, ist eigentlich nichts, was die Evolution uns sozusagen antrainiert hat.
Sebastian H. Schroeder
Aber genau das wäre ja jetzt nun gut. Das würde es ja lösen. Also, kann das vielleicht inzwischen eine Technologie?
Prof. Andreas Schütze
Ich brauche einen Sensor, der sagt: Pass mal auf, hier in der Box, da ist die Lasagne vom Wochenende. Heute ist sie noch gut, morgen nicht mehr. Und dann weiß ich, okay, heute Abend mache ich sie mir warm und esse sie noch.
Sebastian H. Schroeder
Das klingt doch mal nach einer Lösung. Und wie das genau funktioniert oder besser funktionieren soll, das schaue ich mir heute an. Ich bin auf einer Reise, um herauszufinden, wie es in Deutschland so ums Essen steht. Bisher ging es hier bei Foodsteps viel um die Lebensmittelproduktion und Weiterverarbeitung. Heute schaue ich mir eine Technologie an, die das Potenzial hat, einen Teil der Lebensmittelverschwendung zu verhindern. Dafür treffe ich Professor Andreas Schütze.
Prof. Andreas Schütze
Ich bin der Leiter des Lehrstuhls für Messtechnik hier an der Universität des Saarlandes seit 25 Jahren.
Sebastian H. Schroeder
Und er und sein Team sind dabei, etwas ganz Raffiniertes zu entwickeln, das mindestens mal in meiner Küche das Wegwerfen von Essensresten minimieren könnte. Mein Name ist Sebastian H. Schroeder und du hörst Foodsteps: Nachhaltigkeitsstorys aus dem Bundeszentrum für Ernährung. Produziert von Subtext Stories, Folge 4, die Erdbeer-Vorhersage.
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Es ist früh am Morgen und ich bin ein wenig spät dran. Professor Schütze und ich treffen uns auf dem Campus der Uni Saarbrücken. Dort hatte ich – wie er mir bereits im Vorgespräch angedroht hatte – tatsächlich keinen Parkplatz mehr bekommen. Der Campus liegt einige Kilometer außerhalb von Saarbrücken, rundum umgeben von einem großen Wald. Fast zehn Minuten musste ich entlang des Waldrandes joggen, ehe ich mich dem Campus tatsächlich näherte. Schön ist es hier aber. Es hat sowas wie aus einem amerikanischen College-Film. Ein wirklich für sich abgeschlossener Campus, überall junge Menschen, die Sonne scheint. Ja, was will man eigentlich mehr?
In meinem Fall wollte ich endlich zu meinem Termin. Und dafür, dass der Zuweg so lang gewesen war, ging es dann – als ich endlich da war – umso direkter los, als ich Professor Schütze direkt an der Tür in die Arme lief.
Achso, guten Morgen. Oh, bin ich hier richtig? Herr Schroeder. Hallo, Professor Schütze. Richtig?
Prof. Andreas Schütze
Andreas Schütze, freut mich sehr. Kommen Sie rein mit den Erdbeeren.
Sebastian H. Schroeder
Genau, ich habe Erdbeeren mitgebracht. Und zwar, wir hatten im Vorfeld darüber gesprochen. Es ist natürlich jetzt, sagen wir, etwas vorbereitet …
Und zwar hatte ich am Vortag Erdbeeren gekauft. Das hatten wir vorab so besprochen. Dass ich völlig spontan, wie im Fernsehen, Erdbeeren mitbringe. Denn ganz zufällig forscht die Arbeitsgruppe von Professor Schütze aktuell genau daran. An Erdbeeren.
Sie lagen über Nacht im Auto …
Prof. Andreas Schütze
Oh.
Sebastian H. Schroeder
… und ich bin sehr gespannt, denn ich möchte für morgen einen Erdbeerkuchen vorbereiten. Kann ich die da noch verwenden?
Prof. Andreas Schütze
Das werden wir gleich rausfinden. Wir versuchen es zumindest.
Sebastian H. Schroeder
Okay. Dann probieren wir es, alles klar. Also natürlich forschen sie nicht an Erdbeeren direkt, sondern daran, ob und wie Sensoren erkennen können, ob Erdbeeren in der Zukunft noch haltbar sind. Um also herauszufinden, ob das noch gehen wird, nimmt er mich mit zu seinem Doktoranden Hamza Imran.
Prof. Andreas Schütze
Hallo, das ist Hamza Imran.
Sebastian H. Schroeder
Hi, good morning. Nice to meet you.
Hamza Imran
So, great to have you with us.
Sebastian H. Schroeder
Ich vertraue Herrn Imran jetzt meine Erdbeeren an und er beginnt mir zu erklären, was er da jetzt mit vorhat.
Hamza Imran
The idea is, that these sensors are going to record the status of the strawberries.
Sebastian H. Schroeder
Okay, zugegeben, ich verstehe hier gerade kein Wort. Nicht wegen der Sprache, sondern weil ich tatsächlich überhaupt keinen Hintergrund habe, was hier gerade passieren soll. Das Einzige, was ich verstehe, ist, dass Professor Schütze und ich jetzt vier Stunden Zeit haben, um miteinander zu sprechen. Okay, das sollte mehr als reichen, um nachvollziehen zu können, wie das Ganze hier vonstatten geht.
Beginnen wir also am Anfang. Herr Schütze ist kein Lebensmittelforscher. Er hat den Lehrstuhl für Messtechnik inne an der Uni Saarbrücken. Dort sitzen wir jetzt in seinem Büro. Er hat schon mit vielen Branchen zusammengearbeitet, zum Beispiel für die Autoindustrie oder die Pharmaindustrie. Doch insbesondere die Lebensmittelindustrie hat es ihm angetan. Die ist komplex und vielschichtig. Besonders ist jedoch vor allem…
Prof. Andreas Schütze
…dass man aber immer wieder Situationen hat, wo man eigentlich gerne eine objektive Bewertung hätte. Also ganz klassisch, Sie liefern jemandem Ihre LKW-Ladung Fisch und der sagt: „Der ist ja nicht mehr frisch.“ Und Sie sagen: „Doch, riecht doch noch gut.“ Und da möchte man eigentlich gerne was Objektiveres haben. Und deswegen gibt es schon seit vielen Jahren da immer wieder Forschung. Aber es ist eben gerade mit dem Thema Lebensmittelverschwendung nochmal eine neue Dynamik reingekommen. Wo wir gesagt haben, wir wollen uns gerne mal angucken, was könnten Sensorlösungen dort wirklich beitragen, damit man Lebensmittelverschwendung reduzieren kann.
Sebastian H. Schroeder
Damit angefangen haben sie vor knapp acht Jahren. Zunächst haben sie ein internes Projekt gestartet, um zu überprüfen, in welchen Anwendungsfeldern Sensoren eigentlich eine Hilfe wären und welche Sensoren überhaupt eine Lösung bieten könnten. In dem Projekt hatten sie die Möglichkeit zu testen,
Prof. Andreas Schütze
Welche Möglichkeiten gibt es, mit Sensoren da eine Erkennung zu machen? Ganz unterschiedlich. Milchprodukte zu bewerten, Früchte zu bewerten. Gibt es Anwendungsfelder im Supermarkt? Gibt es Anwendungen zu Hause in der heimischen Küche? Und so weiter und so fort.
Und darüber haben wir erstmal so ein paar Erfahrungen gemacht. Was funktioniert? Auch: welche Sachen machen sicherlich keinen Sinn. Also, ein Sensorsystem, wo ich sage, ich mache einen Joghurt auf und rieche rein, ob der Joghurt noch gut ist? Ganz ehrlich, den braucht keiner, weil, das kann unsere Nase vermutlich deutlich besser. Aber es hat sich eben herausgestellt: Es gibt andere Fragestellungen, die sehr, sehr spannend zu untersuchen sind.
Sebastian H. Schroeder
Ich kann mir das irgendwie nie vorstellen. Für mich sind Sensoren immer so kleine Elektrochips, die halt irgendetwas machen. Aber was und wie genau, das ist genau meine Frage. In solchen Situationen frage ich dann gern mal nach, wie bei der Sendung mit der Maus.
Was ist denn die Arbeit, die Sie hier machen, wenn Sie es einem Kind erklären müssten?
Prof. Andreas Schütze
Ich habe tatsächlich unsere Arbeit schon mehrfach Kindern erklärt. Das ist tatsächlich ein relativ dankbares Thema, weil die Sensorik kann ich einem Kind ganz einfach vermitteln. Das sind die Sinnesorgane der Technik. Und dann sagen die Kinder: ah, wie meine Augen, wie meine Ohren, wie meine Nase. Und dann sage ich, genau. Hast du schon mal irgendwas gesehen, was wie deine Nase arbeitet? Nee, gibt es nicht.
Und dann sind wir genau bei dem Thema, was wir eigentlich machen. Wir versuchen in gewissen Grenzen das nachzubilden, was unsere Nase leisten kann für die Lebensmittel. Und das macht einfach Spaß. Da sind die Kinder immer ganz begeistert. Auch wenn man dann sehr schnell zeigen kann, dass unsere Nase nicht etwa für jeden gleich ist. Es gibt so ein paar schöne Beispiele: Das Androstenon – auch aus dem Lebensmittelbereich – ist so ein Klassiker. Das ist der Ebergeruch. Und das ist der Grund, warum männliche Schweine kastriert werden, weil sonst das Fleisch nach diesem Ebergeruch riecht. Aber nur ungefähr die Hälfte der Menschheit hat die richtigen Rezeptoren, um diesen Geruch wahrzunehmen. Das heißt, nur die Hälfte der Menschheit wird dadurch wirklich gestört.
Sebastian H. Schroeder
Das heißt, es sind nicht Männer und Frauen, die Hälfte der Menschheit, sondern das ist durch die Bank?
Prof. Andreas Schütze
Das ist durch die Bank. Kann man ganz einfach testen. Man nimmt so ein Gläschen – kann man sich ja als Probe mal besorgen, dieses Androstenon – lässt mal Kindern dran riechen. Und sie merken sofort, die einen sagen, häh? und die anderen, uuuh! Also, ich rieche es selber zum Beispiel nicht. Ich habe überhaupt kein Problem damit.
Sebastian H. Schroeder
Ja, das würde mich jetzt auch interessieren, ob ich das rieche.
Prof. Andreas Schütze
Und andere, die sagen, uah, das riecht.
Sebastian H. Schroeder
Das muss ich selbst auch mal testen. Aber zurück zum Thema. Das Riechen mit Sensoren ist das Spezialgebiet von Professor Schütze. Beziehungsweise, um es fachlich korrekt auszudrücken: Er befasst sich mit dem Messen von Gasen. Das ist ungefähr das, was unsere Nase auch macht, nur eben ganz objektiv. Was die ganze Sache für Professor Schütze so spannend macht, ist die hohe Komplexität von Gerüchen und Gasen.
Prof. Andreas Schütze
Unsere Sinnesorgane werden praktisch alle im Smartphone abgebildet, bis auf die Nase. Eine Kamera ist drin beziehungsweise die meisten Smartphones haben inzwischen mehrere Kameras. Sie haben auch Mikrofone drin, um zu hören. Auch tatsächlich mehrere Mikrofone, um zum Beispiel Hintergrundgeräusche ausblenden zu können und sowas.
In gewisser Weise auch so ein bisschen Tastsinn. Wenn Sie auf dem Bildschirm rummachen, dann ist das sozusagen der Tastsinn des Smartphones, um zu bemerken, dass es berührt wird dabei. Und tatsächlich hat es auch einen Lagesinn. Jedes Smartphone hat ja Sensoren drin, die die Ausrichtung feststellen. Dadurch wird der Bildschirm gedreht; die Beschleunigung messen können, die Drehungen messen können und so weiter. Das heißt, das Smartphone ist sich immer bewusst, wie es bewegt wird. Deswegen kann ja auch ein Smartphone zum Beispiel sehr schön beim Joggen sagen, wie anstrengend war es, welchen Energieaufwand habe ich. Weil es im Prinzip sogar nachmessen kann, gehe ich eine Treppe hoch, Treppe runter, fahre ich Fahrrad, was auch immer.
Und das ist eigentlich für die meisten Sinnesorgane tatsächlich so. Dass das, was wir technisch heute haben, den menschlichen Sinn bei weitem überlegen ist. Also, ich kann Kameras bauen, die können besser sehen, als wir mit unseren Augen sehen können. Mikrofone – das wissen Sie von Ihrem Recording-Equipment, wie gut die inzwischen geworden sind – und so weiter und so fort.
Das Einzige, was wir eben wirklich noch nicht nachbilden konnten – und das ist so ein letzter großer weißer Fleck auf der Messtechnik-Landkarte – ist der Geruch.
Sebastian H. Schroeder
Und daran möchte er etwas ändern. Und das gleich in doppelter Hinsicht. Denn die bestehenden Sensoren für das Sehen, Tasten, Fühlen, das Gleichgewicht und so weiter, können uns primär etwas über die aktuelle Beobachtung in diesem Augenblick erklären. Sie könnten uns zum Beispiel sagen, die Erdbeere, die wir beobachten, die fährt jetzt in diesem Augenblick Fahrrad. Natürlich fährt die Erdbeere nicht selbst, sondern sie fährt mit auf einem Fahrrad. Sie hat zum Beispiel in ihrer Verpackung einen Sensor und wenn das Fahrrad dann wackelt, dann kann man eben messen, dass auch die Erdbeere wackelt oder eben runtergefallen ist.
Oder wenn man jetzt eine Kamera nimmt und die neben eine Erdbeere legt, dann kann man anhand der Bilder feststellen: sie hat zu der und der Uhrzeit erstmals sichtbar Schimmel gezeigt. Das geht.
All das hilft nur nicht bei der Bestimmung der Zukunft. Also, wenn ich jetzt wissen will, wie wird sich die Erdbeere als nächstes bewegen? Das kann man nicht sagen. Denn wenn das Fahrrad mal steht, dann bewegt sich gar nichts mehr. Und man weiß auch nicht, was als nächstes passieren wird. Und noch viel weniger kann ein Bewegungssensor die Frage beantworten, kann ich die Erdbeere in den nächsten Tagen noch essen? Professor Schütze hat dafür eine Idee. Und um mir diese Idee zu erklären, nimmt er mich mit in sein Labor.
Prof. Andreas Schütze
So, dann sind wir hier schon mal in unseren heiligen Hallen. Sie merken schon, das ist die Geräuschkulisse, die wir hier haben. Da kommt noch ein bisschen mehr dazu, wenn gleich die Null-Luft-Generatoren zwischendurch einmal pfeifen. Wir machen hier Druckluftversorgung für unsere Gasmischanlagen. Und die wird aufgereinigt, diese Druckluft. Und das ist dieses Zischen, was da hinten immer mal reinkommt. Also keine Panik, ist alles in Ordnung. Da tritt nicht plötzlich irgendwas Giftiges aus.
Sebastian H. Schroeder
Wie ihr hört, piepst und bläst es um mich herum ganz gut. Ich befinde mich in einem Raum mit mehreren ganz typischen Luftabzugshauben, so wie man sie aus dem Chemieunterricht kennt. Das, was dieses Labor jedoch so eindrucksvoll macht, sind die Rohrleitungen, die zu Dutzenden überall durchs Labor laufen. An ihrem einen Ende hängen ganz kleine, handgroße Computer, die wiederum mit Rohren und Kabeln verbunden sind und alle wild blinken – so wie in so einem riesigen Serverraum. Bevor er mir aber erklärt, warum hier alles zischt, piepst und blinkt, führt mich Professor Schütze zu so einer großen grauen Maschine. Mehr sieht man erstmal nicht.
Prof. Andreas Schütze
Das ist ein Gaschromatograph mit Massenspektrometer. Das heißt, wenn wir unbekannte Gasmischungen haben, sorgt der Gaschromatograph dafür, dass diese Mischungen aufgetrennt werden in die einzelnen Substanzen. Und das Massenspektrometer hintendran misst die Moleküle und kann sie sozusagen analysieren, sodass wir dann wissen: Was war in der Mischung vorher drin?
Sebastian H. Schroeder
Nur, wofür braucht man das? Das Team beobachtet, zu welcher Zeit im Leben einer Erdbeere welche Gase ausdünsten. Das machen sie mit ganz vielen verschiedenen Erdbeeren, um auf Muster zu treffen. Anhand dieser Daten erhoffen sie sich, genau herausfinden zu können, welche Gase eine Erdbeere abgibt, die noch gut ist, und welche Gase sie abgibt, wenn sie eben nicht mehr gut ist. Und wie lange der Zeitraum des Übergangs dauert. Denn im Verlauf der Zeit ändern sich die austretenden Gase.
Woher wissen Sie, welche dafür verantwortlich sind, dass das Produkt schlecht wird?
Prof. Andreas Schütze
Ja, wissen wir erst mal nicht. Das muss man dann über mehrere Experimente machen und dann eben sehen: Treten bestimmte Substanzen immer wieder auf? Und wenn ich weiß, okay, die treten immer wieder auf, dann kann ich sagen, okay, das ist also der Indikator für den Verderb-Prozess. Und das ist für die unterschiedlichen Anwendungen ganz spannend zu verstehen: Welcher Prozess findet da gerade statt?
Letztendlich schaut man sich an, was ist sozusagen am häufigsten miteinander korreliert. Die Mikrobiologen gehen noch einen Schritt weiter, die natürlich dann aufspüren wollen: Was ist der Prozess, der dahinter ist? Um nicht nur über Korrelationen zu gehen, sondern wirklich eine Kausalität festzustellen. Weil, Korrelation bedeutet: Es kann sein, ich habe zufälligerweise immer die gleiche Verunreinigung in der Luft drin, dann stelle ich die Korrelation fest. Aber das hat halt keine Bewandtnis für die Lebensmittelverderb-Prozesse.
Sebastian H. Schroeder
Und an dieser Analyse arbeiten sie gerade. Wenn sie dann im nächsten Schritt ganz genau bestimmen können, um welche Gase es sich handelt, kommen die kleinen Computer und Gasflaschen ins Spiel. Professor Schützes Team nutzt die Anlagen, um Sensoren darauf zu trainieren, bei den geringsten Mengen des identifizierten Gases anzuschlagen. So wie wenn man einen Hund darauf trainiert, immer bei bestimmten Gerüchen zu bellen. So könnte der Sensor dann Bescheid geben, wenn der Übergang zwischen den Stadien „gut“ und „nicht mehr gut“ beginnt.
Prof. Andreas Schütze
Also, alle diese Anlagen, die unter diesen Hauben sitzen, sind unsere sogenannten Gasmischanlagen. Sie sehen, da hinten sind die Gasflaschen drin. Das sind im Wesentlichen kleine Konzentrationen von Gasen, wie sie zum Beispiel aus solchen Lebensmitteln ausdünsten können. Und jetzt sehen Sie, wir haben hier insgesamt vier von diesen Gasmischern mit unterschiedlichen Größen, unterschiedlichen Spezifikationen. Wir haben hier eine Befeuchtung, weil natürlich die Luftfeuchtigkeit sozusagen die Hauptkomponente ist, die neben Luft in Luft drin ist. Und die ändert sich ja auch. Und natürlich müssen unsere Sensoren so einen Geruch von der Erdbeere auch erkennen können, wenn sich die Luftfeuchte ändert. Und deswegen variieren wir bei unseren Messungen die Feuchten auch gezielt. Und dann mischen wir diese Gase verschieden zusammen, geben das über unsere Sensoren drüber und trainieren die damit an, diese Gase zu erkennen.
Sebastian H. Schroeder
Wie bestimmen Sie denn, was da für Gase drin sind? Also das können Sie dann händisch beimischen?
Prof. Andreas Schütze
Also die Flaschen lassen wir uns nach Maß liefern. Da ist das drin, was wir haben wollen. Da gibt es verschiedene Gaslieferanten, die uns das so zusammenmischen, wie wir es haben wollen.
Sebastian H. Schroeder
Okay, das heißt, Sie nehmen erst mal die Erdbeere, finden raus, was dünstet da aus? Würde man das so sagen?
Prof. Andreas Schütze
Ja, genau.
Sebastian H. Schroeder
Und dann bestellen Sie beim Hersteller Erdbeerdunst, quasi eine Flasche Erdbeerdunst.
Prof. Andreas Schütze
Ja, also wir versuchen die Gase einzeln zu bestellen, damit wir eben dann den Erdbeerdunst quasi wieder zusammenbauen können. Und wir machen nicht eine volle Nachbildung von diesen Gerüchen, weil die viel zu kompliziert sind. So ein Geruch sind typischerweise Dutzende Substanzen. Also ein klassisches Beispiel ist immer, wenn man Kaffee nachbauen möchte, muss man ungefähr 20 bis 25 verschiedene Substanzen miteinander mischen, damit es wie Kaffee riecht.
Sebastian H. Schroeder
Und macht das aber zum Beispiel die Lebensmittelindustrie, um Produkte besser riechen zu lassen?
Prof. Andreas Schütze
Ja, na klar. Und da gibt es auch nicht nur ein Erdbeeraroma, sondern fünf bis sechs. Es kommt ja auch noch darauf an, wie soll das dann nachher weiterverarbeitet werden und so weiter. Und danach gibt es ganz unterschiedliche Aromen, die wieder zugesetzt werden. Zum Teil ist es auch einfach so, so ein ganz frisches Apfelaroma beispielsweise. Das geht kaputt, wenn Sie den Apfel kochen. Und deswegen extrahiert man das Apfelaroma aus den frischen Äpfeln. Dann wird, was weiß ich, ein Apfelstrudel gemacht und dann kommt das Aroma wieder rein, damit es dann wieder nach frischem Apfel riecht.
So versuchen wir dann halt unsere künstlichen Gasgemische. Ich würde sie nicht als Gerüche bezeichnen, weil eben das Ziel nicht unbedingt ist, den Geruch nachzubauen bei uns. Für uns ist wichtiger, dass wir die dominierenden Substanzen haben, also die, die in hohen Konzentrationen auftreten. Weil das ist das, worauf die Sensoren auch stärker reagieren werden. Die Nase ist extrem empfindlich, zum Teil für Spurenelemente. Bei den Sensoren ist es eher so, dass wir uns auf die hohen Konzentrationen konzentrieren müssen.
Sebastian H. Schroeder
Und dann wollte mir Professor Schütze noch etwas ganz Besonderes zeigen.
Prof. Andreas Schütze
Wir gehen vielleicht mal nach hinten, damit wir mal sehen, wie groß so eine Anlage insgesamt werden kann. Das ist unser ganzer Stolz. Das ist unsere neueste und größte Anlage tatsächlich.
Die ist auch von ihrer Komplexität her weltweit einzigartig. Wir haben hier, man sieht das, so modulare Blöcke, immer drei Massenflussregler. Das ist eine sogenannte Vorverdünnungseinheit. Das heißt, wir können die Konzentration, die in der Gasflasche da ist, nochmal durch unsere Null-Luft runterverdünnen, nochmal kleinere Konzentrationen machen. Wir erzeugen uns also sozusagen damit online ein Prüfgas mit niedrigerer Konzentration. Und erst damit gehen wir in die Gemische rein.
Sebastian H. Schroeder
Das heißt, sie nehmen ihre Gase und verdünnen die konzentrierten Gase noch mehr mit Luft, damit die Sensoren ganz, ganz genau lernen, worauf sie anschlagen sollen.
Prof. Andreas Schütze
Das ist deswegen wichtig, weil in allen Gasflaschen immer noch Verunreinigungen mit drin sind, so in der Größenordnung von einem ppm, ein Part per Million.
Sebastian H. Schroeder
Was sie aber messen möchten, ist ein ppb, ein Part per Billion.
Prof. Andreas Schütze
Ein ppb wäre 0,000000001. Und das ist so – wir haben es mal versucht auszurechnen – das ist so der Würfelzucker im olympischen Schwimmbecken und solche Sachen. Das sind schon kleine Konzentrationen, aber tatsächlich wissen wir eben, dass es auf diese Spurengase ankommt, gerade bei solchen Prozessen. Aber das Problem ist: Das, was wir als Referenzgas haben, hat eben eine tausendfach höhere Verunreinigung.
Sebastian H. Schroeder
Man kann sich das so vorstellen wie einen Brandmelder. Ein Brandmelder macht auch mal Fehlalarme. Man möchte aber auf jeden Fall sicher sein, dass er den echten Alarm entdeckt. Das heißt, bei einem Brandmelder wird man immer darauf achten, dass er nie einen Brand übersieht. Jetzt wird man hier in der Forschung herausfinden, wie sensibel kann man diese Erkennung bei verdorbenen Erdbeeren machen. Und dann wird man im nächsten Schritt festlegen müssen, okay, was bin ich bereit an Fehlbewertungen zu akzeptieren? Das zum Teil gesagt wird, ja „false positive“, also es wird schon als verdorben gekennzeichnet, obwohl es noch gut wäre. Oder umgekehrt, auch die Frage, wie wird man mit „false negative“ umgehen? Das ist das viel Kritischere. Da geht es um die Frage, wie lange wird einem angezeigt, dass man es noch essen kann, obwohl es schon verdorben ist? Also, wie beim Brandmelder.
Prof. Andreas Schütze
Es macht eben den Unterschied, ob es nicht mehr schmeckt oder ob ich eine Lebensmittelvergiftung davon ziehe. Bei Früchten würde ich sagen, ist die Gefahr nicht so besonders groß. Aber klar, Schimmelbildung in Früchten ist nicht gut. Und das kann – je nachdem, wie empfindlich man da ist – schon ernste Konsequenzen haben. Und deswegen müssen wir eben sehr sorgfältig erforschen: Was können wir versprechen, was die Sensorsysteme leisten und was auch nicht? Und dann muss man in dem nächsten Schritt tatsächlich sehen, okay, ist das was, was für eine allgemeine Anwendung geeignet ist? Es ist halt noch ein Forschungsprojekt, wo es nicht darum geht, wir machen keine Produktentwicklung und sagen, in zwei Jahren ist das Ding fertig da.
Sebastian H. Schroeder
Nun bin ich an einer Stelle, um zu verstehen, was Hamza Imran, der Doktorand von Professor Schütze, mir da am Anfang versucht hat zu erklären. Er hatte eine meiner Erdbeeren mit einem kleinen Sensor in eine Vorratsdose gelegt und die Dose luftdicht verschlossen. Und das ist in kurz auch die Idee. Du nimmst eine handelsübliche Vorratsdose, aber mit einem speziellen Deckel, nämlich einem Deckel mit Sensoren, die erkennen können, ob das Essen in der Dose am nächsten Tag noch haltbar ist.
Mit Hilfe eines relativ einfachen Ampelsystems kann dann angezeigt werden, wie lange das Produkt noch verzehrbar ist. Grün signalisiert: alles in Ordnung. Gelb: besser heute essen. Und Rot: heute schon nicht mehr verzehrbar. Das ist genial einfach. Mit so einem Produkt wüsste ich immer, wenn ich Essen von den Vortagen im Kühlschrank finde, bis wann ich es gegessen haben muss. Das Ganze hat nur einen Haken.
Glauben Sie, oder was ist Ihre Prognose? Schaffen Sie das, dass dieses Produkt so funktioniert, dass es zu Hause in den Haushalten Spaß macht?
Prof. Andreas Schütze
Das kann ich heute noch nicht prognostizieren, ob wir diese Produktidee wirklich umgesetzt bekommen. Dafür sind wir einfach noch viel zu früh dran. Wir sehen – wie gesagt, im Moment –, dass wir Lösungen hinkriegen, wo wir glauben, für Erdbeeren, für andere Beeren, Blaubeeren, kriegen wir eine Erkennung hin. Wenn das System weiß, dass es sich um Erdbeeren, Blaubeeren und so weiter handelt.
Wenn ich jetzt aber an das Fernziel denke, dass ich wirklich sage – jetzt komme ich wieder zu meiner Lasagne, pack die da rein, die wollen wir auch erkennen können – dann wird es schwierig. Weil, Lasagne ist ja nicht gleich Lasagne. Also diese Variation, die dort drin ist, ist nochmal viel, viel größer, als wir das bei natürlichen Früchten, Obst und so weiter haben.
Und ob das wirklich ausreichend gut bewertet werden kann oder ob nicht dann das System – einfach um auf der sicheren Seite zu sein – immer sagt: ist so im gelben Bereich. Und das ist für den Anwender dann wieder so, dass er sagt: ja, das sagt mir jetzt nichts, das hilft mir jetzt eigentlich nicht.
Ich sage mal, wir sind einfach noch nicht weit genug, um das bewerten zu können. Da muss noch einiges an Experimenten gefahren werden. Aber gut, wenn man es nicht macht, wird man es nie lernen.
Sebastian H. Schroeder
Dazu kommt, dass ebenso wenig klar ist, ob das Produkt sich in Summe auch als nachhaltig für das Klima herausstellen wird. Also mehr CO2 einspart durch weniger weggeworfenes Essen, als es verbraucht in der Produktion.
Prof. Andreas Schütze
Wir können es tatsächlich heute noch nicht sagen, ob am Ende eine sozusagen positive Bilanz für die Nachhaltigkeit entsteht. Das ist an vielen Stellen ganz schwer zu bewerten. Das versuchen wir unseren Studierenden zunehmend beizubringen. Wie mache ich eine ordentliche CO2-Bilanz? Wie viel muss ich noch mitberücksichtigen? Ich sage mal, unser Beispiel ist ja vergleichsweise einfach noch, weil, die Tupperdose hat sowieso jeder zu Hause. Also das heißt, über die Dose muss ich mir eigentlich keine Gedanken machen. Da machen wir nichts dran.
Aber wir wollen halt ein kleines Sensorsystem entwickeln, das in den Deckel reinkommt. Und natürlich verbraucht das Energie. Das kostet auch was. Für den Endanwender ist eher das Kosten-Nutzen-Verhältnis da. Für die Ökobilanz ist es natürlich tatsächlich: Verhindere ich mehr Lebensmittelverschwendung mit dem einzelnen Sensorsystem, als es selber sozusagen erzeugt?
Sebastian H. Schroeder
Und hier sind wir wieder. Wie so oft, wenn ich mit Grundlagenforschenden zusammensitze. Die Menschen forschen an absolut spannenden Themen, geben ihr ganzes Herzblut in eine Sache, von der sie noch in Jahren nicht sagen können, ob es funktionieren wird. Aber sie geben alles dafür, damit ein positiver Wandel in unserer Gesellschaft möglich werden kann. Nur sieht man das auf den ersten Blick häufig nicht. Im ersten Moment denkt man: Ja ist es das wirklich wert, so viel Zeit und Geld in so ein mini-kleines Teil zu investieren?
Aber wie Professor Schütze eben richtig gesagt hat: Wenn wir es nicht erforschen, werden wir niemals wissen, für was es gut sein wird. Es ist wie einen kleinen Samen auszusäen, ohne zu wissen, ob er vielleicht später zu einem großen Baum wird. Im Kleinen liegt ein Potenzial, das ich manchmal erst sehen lernen muss, um die potenziell großen Effekte verstehen zu können.
In Deutschland werden jedes Jahr rund elf Millionen Tonnen Lebensmittelabfall erzeugt. Mehr als die Hälfte davon entsteht in privaten Haushalten. Wenn wir jetzt jeder nur einen kleinen Teil dazu beitragen könnten, mit solch einer Erfindung weniger Müll zu produzieren – sagen wir, jede Person ein Kilogramm im Jahr, das sind ungefähr zwei Mahlzeiten in einer Frischhaltedose – dann wären das gleich 83 Millionen Kilogramm weniger. Kleine Handlung, große Wirkung. Und so scheint auch Professor Schütze zu denken. Er hat die Vision, mit mikroskopisch kleinen Sensoren einen großen Effekt zu erreichen.
Prof. Andreas Schütze
Das Thema Lebensmittelverschwendung war so ein bisschen, ich sage mal, weich im Hintergrund gewesen. Und wenn man dann sich die Zahlen ansieht, kriegt man ja doch einen ziemlichen Schreck, wie viel verschwendet wird, gerade in den Haushalten. Man fängt an, sich selber zu hinterfragen. Das war auch tatsächlich bei den Projekten eine ganze Weile eine Frage: Sind es wirklich technische Lösungen, die uns weiterbringen? Oder ist es einfach mehr Bewusstheit bei jedem dafür, dass man eben nicht einfach sagt: Oh, Mindesthaltbarkeitsdatum abgelaufen, ich gucke nicht mal in den Joghurt rein, sondern schmeiße ihn sofort weg.
Ich meine, das ist einfach unsinnig. Und das war so ein bisschen, wo es bei mir tatsächlich erst im zweiten Moment Klick gemacht hat, dass man merkt, ja, da ist noch viel zu tun. Und selbst wenn es für dieses Produkt nicht geht, bin ich mir relativ sicher, dass wir dann hinterher verstehen, wo es Anwendungen gibt, wo die Sensorik tatsächlich effektiv helfen kann.
Sebastian H. Schroeder
Okay, jetzt bleibt eigentlich nur noch, herauszufinden, was mit meinen Erdbeeren ist. Ob das kleine Experiment geklappt hat. Wir sind zurück bei Hamza Imran im Labor.
Prof. Andreas Schütze
Hi.
Sebastian H. Schroeder
Oh, everything is great. Okay, so where are we at?
Hamza Imran
We are here at the end.
Sebastian H. Schroeder
Okay.
Hamza Imran
Is it recording?
Sebastian H. Schroeder
Yes, no, actually, it is not. Good man. Well, this was recording, but this wasn't. So, okay, Hamza, where are we at?
Hamza Imran
So, we have completed the experiment, and I have used, like, last one and a half hour of data for the inference. Inference means prediction. So, basically, I have named these containers S6, S7, and S8. Here are the results. I was even expecting this. It says: It is fully fresh.
Sebastian H. Schroeder
Ich kann meine Erdbeeren also ruhigen Gewissens mitnehmen und auch morgen zu einem Erdbeerkuchen verbacken. Hervorragend.
Jetzt sind wir einmal wieder oben. Weil es so schön war: Die Erdbeeren, die restlichen, die kann ich ja mitnehmen für den Kuchen. Aber die, die jetzt da in der Plastikdose war, die tun wir jetzt nicht mehr zurück. Die essen wir jetzt. Die essen wir einfach so. Das ist bestimmt sauber.
Prof. Andreas Schütze
Ja.
Sebastian H. Schroeder
Oder nicht? Also grün ist es ja, das haben wir ja gelernt.
Prof. Andreas Schütze
Ich habe da überhaupt kein Problem mit.
Sebastian H. Schroeder
Also dann: Guten Hunger.
Prof. Andreas Schütze
Ja, gleichfalls. Mmh, wirklich gut. Lecker.
Sebastian H. Schroeder
Ah, da hat es sich doch gelohnt.
Ja, dann mache ich mich wieder auf. Und zwar ins Münsterland. Dort treffe ich den Landwirt Ulrich Averberg.
Ulrich Averberg
Also, ich habe selber das Gefühl, dass meine Geschichte so gerne erzählt wird, weil das so ein bisschen vom Saulus zum Paulus ist.
Sebastian H. Schroeder
Er hat als einer der Ersten einen völlig neuen Weg eingeschlagen. Und er weiß, wie stereotyp seine Geschichte klingt.
Ulrich Averberg
Also, der böse Schweinemäster hat jetzt die Erleuchtung und weiß, dass er mit den veganen Algen die Zukunft gestalten kann.
Sebastian H. Schroeder
Und was er da so mit den Algen macht, das hört ihr beim nächsten Mal bei Foodsteps: Nachhaltigkeitsstorys aus dem Bundeszentrum für Ernährung. Produziert von Subtext Stories. Ein großer Dank in dieser Folge geht an Professor Schütze, Hamza Imran und Dr. Buhr für die Organisation. Mitgewirkt an dieser Folge haben vom Bundeszentrum für Ernährung Janina Unger, Claudia Eck und Lars Winterberg. Mein Name ist Sebastian H. Schroeder und ich freue mich schon auf das nächste Mal.
