- Ein Restaurant im norddeutschen Uetersen hat sich zeitgemäß neu erfunden, denn das klassische Landgasthof-Konzept ist heute wirtschaftlich schwer.
- Gamechanger war die Zusammenarbeit mit einer Hamburger Bürger-Aktiengesellschaft, die regionale Wertschöpfungsketten fördert.
- Das Netzwerk brachte den Betreiber mit Bio-Betrieben zusammen.
- Im nun doppelt bio-zertifizierten Restaurant gibt es bodenständige, saisonale-regionale Küche, modern interpretiert.
- Mehrere Standbeine sichern heute den wirtschaftlichen Erfolg.
- Koch und Inhaber Bernd Ratjen erzählt dem Bundeszentrum für Ernährung für den Podcast "Foodsteps" von seiner langen Reise mit der Aussicht auf eine gute Zukunft für Mensch und Natur.
„Alles auf die Bio-Karte"
„Zur Erholung“ – das ist ein Gasthaus mit langer Tradition. Bernd Ratjen führt den Familienbetrieb in sechster Generation. Bis in die 90er Jahre war er eines von zwei großen Speise- und Veranstaltungslokalen im Ort mit einem großen Tanzsaal, einer Gaststätte und einer Kneipe. Hier fand das gesellschaftliche Leben statt. Man traf sich zu Familienfeiern, Frühshoppen oder Skatabenden. Handwerker kamen zum Frühstück, Bus-Reisegruppen und Vereine zum Grünkohlessen.
Doch diese Zeiten sind längst vorbei. Viele Gastwirte haben aufgegeben. Nicht so die Ratjens: Sie haben sich komplett neu erfunden – eine lange und mutige Reise, die mehrmals fast gescheitert wäre.
Doch heute scheint es geschafft. Mit einem zertifizierten Bio-Restaurant als Herz des Ganzen. Für Bernd Ratjen und seine Schwester Anne ging daran kein Weg vorbei. Denn sie wollten nicht nur eine eigene Zukunft haben, sondern verantwortlich für nachfolgende Generationen handeln und ihren Teil zum Klimaschutz beitragen.
Mutig durch alle Krisen
Bernd Ratjen wollte Koch werden. Dazu ging er erst einmal weg vom elterlichen Betrieb: nach Schleswig, Grindelwald, München und zurück in den Norden.
Mit 27 Jahren stand er wieder in Uetersen und vor der Frage: „Und nu?“ Erst half er den Eltern im Gasthof, merkte aber schnell: Es muss sich etwas ändern. Mit zehn Jahren Berufserfahrung im Rücken übernahm er 2009 „leicht überambitioniert“ die Küchenleitung. Fünf Jahre später kam auch seine Schwester Anne zurück und sagte zu, ihn zu unterstützen. Da übernahm er den elterlichen Betrieb und begann umzubauen.
Zunächst waren sie auf einem guten Weg. Dann kam Corona und alles geriet ins Wanken. Andere hätten vielleicht aufgegeben, doch Ratjen investierte weiter und trieb seine Ideen jetzt erst recht voran: „Wir haben Corona genutzt, um zu sagen, jetzt machen wir das aber auch richtig und gucken nach vorne … und haben dann auf Bio umgestellt.“
Die Regionalwert AG als „Gamechanger"
Für eine regionale, saisonale Bio-Küche brauchte Bernd Ratjen zuverlässige Lieferanten mit guter Qualität und mit Preisen, die in der Gastronomie machbar sind. Den Zugang fand er über die Regionalwert AG Hamburg. Das ist eine Bürger-Aktiengesellschaft, die regionale Wertschöpfungsketten fördert.
Das Netzwerk brachte ihn mit Bio-Betrieben zusammen, die direkt mit Gastronomen arbeiten wollen und zum optimalen Erntezeitpunkt feldfrisch liefern können. Denn für die Bio-Auszeichnung in Gold vom Bioland-Verband und dem Gastro-Bio-Siegel in Gold des Bundeslandwirtschaftsministeriums kauft Bernd Ratjen zu 90 bis 100 Prozent Lebensmitteln aus ökologischer Erzeugung.
BZfE-Podcast „Foodsteps“: Folge 2
Die Geschichte von Bernd Ratjen zeigt, wie man mit Mut, Bio und gutem Konzept ein Restaurant neu erfindet und wirtschaftlich aufstellt.
Hören Sie hier die zweite Folge von „Foodsteps: Nachhaltigkeitsstorys aus dem Bundeszentrum für Ernährung“: Alles auf die Bio-Karte.
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Bodenständig auf hohem Niveau
Bernd Ratjen erzählt dem BZfE seine Geschichte für den Podcast “Foodsteps”. Während des Besuchs des Hosts Sebastian H. Schröder kocht er Linsen mit Karotten, Palmkohl und Kartoffeln: Bodenständig, regional, vegetarisch und mit besten Bio-Produkten. Der Wareneinsatz: zehn Euro für vier Personen zeigt, dass Bio nicht zwangsläufig teuer sein muss. Wenn die Qualität der Zutaten stimmt, schmeckt bereits einfach Zubereitetes unglaublich lecker.
Durch geschicktes Kombinieren will Ratjen Lebensmittel in Szene setzen, verfeinern, aber möglichst wenig verändern. Eine Bio-Möhre oder ein Bio-Kohl bringen bereits so viel Geschmack mit, dass er wenig würzen muss. Eine traditionelle Heimatküche auf moderne Art, gehoben, aber nicht abgehoben gibt es in der Erholung. Das ist genau das, was viele Menschen heute suchen und wertschätzen, wenn sie sich einen Restaurantbesuch gönnen.
Zwei kreative Köpfe, viele Standbeine
Das Bio-Restaurant „Zur Erholung" ist heute ein Betrieb mit mehreren Standbeinen. Und immer kommen neue dazu, denn Bernd Ratjen und seine Schwester Anne haben noch viele Ideen.
Die stattliche Linde zeugt von der langen Tradition des Gasthauses „Zur Erholung“. Wer es betritt, geht unmittelbar daran vorbei. Kulturgeschichtlich symbolisiert die Linde Freundschaft, Liebe, Treue und Geselligkeit. In vielen Dörfern stehen Linden vor Gasthäusern oder in der Mitte der Dorfplätze. Dort dienten sie als Treffpunkt für Feste, als Tanzbaum oder waren der Ort, an dem Gericht gehalten wurde.
Im sonnendurchfluteten Speiseraum genießen Gäste tagesaktuell saisonale Hausmannskost in modernem Gewand. Oder sie gönnen sich das legendäre 6-Gang-Menü mit kulinarischer Reise durch die Region. Beliebte Gerichte sind zum Beispiel Labskaus mit Spiegelei, Weiderind mit Bratkartoffeln und saisonalem Gemüse oder regionale Antipasti – selbstverständlich alles in Bio-Qualität. Die bei Kochevents zubereiteten Speisen verkosten die Gäste hier ebenfalls.
Im umgebauten Tanzsaal mit rund 80 Plätzen werden an Festtagen die Menüs serviert. Der Raum bietet genug Raum für Familienfeiern, Musikveranstaltungen und Motto-Partys. An einem Adventswochenende erstrahlt der Raum vorweihnachtlich und dient als Ausstellungsort für einen Kunsthandwerkermarkt.
Vor mehr als hundert Jahren wurden hier die Pferde ausgespannt und die Fuhrwerke der Bauern geparkt, nachdem sie ihr Getreide zur benachbarten Mühle gebracht hatten. Heute befindet sich hier der Tante-Anne-Laden, benannt nach Bernd Ratjens Schwester und Mitstreiterin Anne. Dort gibt es Weine von deutschen Winzern, die auch auf der Speisekarte stehen, und viele haltbare Produkte aus eigener Herstellung wie die „No Show Soup“ in mehreren Sorten.
Ob Grillevents im Sommer oder Fine Dining: Hinter allem stecken eine klare Haltung für nachhaltigen Genuss und beste Bio-Lebensmittel. Zum Beispiel bei „Bernies Dinner Club“ oder in Kochkursen wie „Gemüse fermentieren“ und „Brot backen mit Marcel“. Sogar Schulklassen lernen bei Ratjens kochen. Jeden Mittwochnachmittag können außerdem Weine probiert werden.
Über ihren Online-Shop verkaufen die Ratjens rund vierzig haltbare Produkte. Viele davon sind Klassiker aus der Region wie Rindergulasch, Sauerfleisch, Kartoffelsuppe, Grünkohl oder Labskaus. Die meisten stammen aus der eigenen Küche. Zuletzt kam noch die Lohnfertigung für Hofläden, Metzgereien oder Händler aus Hamburg dazu: zum Beispiel Fleisch- oder Wurstkonserven, die Bernd Ratjen für einen Bio-Metzger herstellt.








